Kolumne: Ropers neue Welt der Etymosophie
GEGENWART – das Präsent der Präsenz-Zeit
Die Etymosophie-Kolumne von Roland R. Ropers erscheint wöchentlich exklusiv in der EPOCH TIMES Deutschland.

Für den Fotografen ein Präsent, Bayerns Torwart Neuer im richtigen Gegenwarts-Moment erwischt zu haben.
Foto: Steffen Andritzke/The Epoch Times
Die weisen Meister ermahnen uns, stets gegenwärtig im Hier und Jetzt zu sein. Aber was bedeutet eigentlich Gegenwart, gegen was ist sie gerichtet? Es gibt einige deutsche Worte mit der Endung „-wart“, zum Beispiel Torwart, Tankwart, Hauswart, Schlosswart, Kassenwart. Das Suffix „wart“ hat hier die Bedeutung von hüten, verwalten, warten. Bei dem Wort Gegenwart hingegen hängt das Suffix „wart“ etymologisch mit dem lateinischen Verb vertere (= wenden) zusammen. Somit ist Gegenwart das, was sich einem zuwendet, entgegentritt, das Jetzt, streng genommen der Augenblick der jeweiligen Wirklichkeit, der Übergang vom „nicht mehr“ (Vergangenheit, Herkunft) zum „noch nicht“ (Zukunft). Die Gegenwart ist die Präsenz-Zeit. Latein. sum = ich bin; adsum = ich bin da; absum = ich bin weg. Die Abwesenheit bezeichnen wir mit Absenz, das logisch sich ergebende Wort Adsenz für Anwesenheit kennen wir leider noch nicht.
In der deutschen Sprache unterscheiden wir deutlich zwischen Präsens (Zeitform des Verbs, Gegenwartsform), Präsenz (Anwesenheit) und Präsent (Geschenk). Alle diese Worte haben ihren Ursprung im lateinischen Verb: praeesse = voranstehen, leiten. Das Partizip Präsens heißt im Latein: praesens (anwesend, gegenwärtig, jetzig, augenblicklich); das lat. Substantiv praesentia bedeutet Gegenwart. Das Verb praeesse ist sehr irreführend; ohne das Präfix „prae“ bedeutet esse = sein; essentia ist das Wesen, die Essenz. Praeesse wörtlich übersetzt hieße „voransein“, aber in der Gegenwart gibt es den Zustand von voran überhaupt nicht. In der englischen Sprache unterscheiden wir zwischen presence (Gegenwart) und present (als Substantiv: Geschenk; als Adjektiv: gegenwärtig). Präsentieren und Präsentation werden bei uns als Darbietung, Darreichung verstanden und verfälschen eigentlich die ursprüngliche Herkunft des Wortes.
Befindet man sich in Paris und liest das Wort hier, muss man wissen, dass es gestern bedeutet. Bei uns ist hier = heute. Sprache (lingua, die Zunge) kann Irritationen erzeugen, hingegen führt das Herz den Menschen in das tiefste Verstehen des Seins, in die Essenz des Lebens.
Die größte Herausforderung unserer Zeit ist die Gegenwarts-Bewältigung.
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