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Alles vergeht

Im Herbst – von Adelbert von Chamisso

Aus der Reihe Epoch Times Poesie – Die französische Revolution zwingt die Familie Chamissos, er selbst 15-jährig, zur Flucht und läßt ihn in Berlin erwachsen werden. In Erinnerung an den gebürtigen Franzosen, der auf deutsch schrieb, wird seit 1985 der Adelbert-von-Chamisso-Preis an Autoren nicht-deutscher Muttersprache vergeben, die mit ihrem Werk einen wichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leisten.

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Sieh, der Herbst schleicht her…

Foto: iStock

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Im Herbst

Niedrig schleicht blaß hin die entnervte Sonne,
Herbstlich goldgelb färbt sich das Laub, es trauert
Rings das Feld schon nackt und die Nebel ziehen
Über die Stoppeln.
Sieh, der Herbst schleicht her und der arge Winter
Schleicht dem Herbst bald nach, es erstarrt das Leben;
Ja, das Jahr wird alt, wie ich alt mich fühle
Selber geworden!
Gute, schreckhaft siehst du mich an, erschrick nicht;
Sieh, das Haupthaar weiß, und des Auges Sehkraft
Abgestumpft; warm schlägt in der Brust das Herz zwar,
Aber es friert mich!
Naht der Unhold, laß mich ins Auge ihm scharf sehn:
Wahrlich, Furcht nicht flößt er mir ein, er komme,
Nicht bewußtlos rafft er mich hin, ich will ihn
Sehen und kennen.
Laß den Wermutstrank mich, den letzten, schlürfen,
Nicht ein Leichnam längst, ein vergeßner, schleichen,
Wo ich markvoll einst in den Boden Spuren
Habe getreten.
Ach! ein Blutstrahl quillt aus dem lieben Herzen:
Fasse Mut, bleib stark; es vernarbt die Wunde,
Rein und liebwert hegst du mein Bild im Herzen
Nimmer vergänglich.
 
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

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