Meinung

Coronavirus festigt Primat der Politik: Wird der Staat die neu erlangte Macht wieder abgeben?
Die Bedrohung durch das Coronavirus führt derzeit in der Bevölkerung zu einer erhöhten Akzeptanz von Freiheitsbeschränkungen und überbordender Ausgabenpolitik vonseiten des Staates. „Welt“-Redakteur Olaf Gersemann befürchtet, dass es auch nach der Krise dabei bleibt.

Wird es bei den Freiheitsbeschränkungen durch den Staat einen Weg zurück geben?
Foto: Sean Gallup/Getty Images)
Am gestrigen Sonntagabend (22.3.) verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sich Bund und Länder auf weitreichende Maßnahmen einer Kontaktsperre verständigt haben, um die Verbreitung des Coronavirus zu drosseln. Damit soll Zeit für die Forschung gewonnen werden, die an Heilmitteln gegen die Seuche arbeitet, und gleichzeitig das Gesundheitswesen funktionsfähig erhalten werden.
Die Rückendeckung für die Maßnahmen in der Bevölkerung ist – ähnlich wie in Italien und Österreich, wo zum Teil noch schärfere Regeln gelten – überwältigend. Die Öffentlichkeit sieht eine drastische Einschränkung des sozialen Lebens in Anbetracht der Notlage als angemessen an. Zudem geht man davon aus, dass die Ausweitung der staatlichen Machtbefugnisse auf die Dauer der Bedrohung begrenzt bleibt und anschließend eine Rückkehr zur Normalität stattfinden wird.
Coronavirus macht „schicksalsergeben“
Politik und Verwaltung reagieren – wenig überraschend – mit Lob und Genugtuung auf die Bereitschaft der Bevölkerung, die zum Teil erheblich in bürgerliche Freiheitsrechte eingreifenden Maßnahmen mitzutragen. Dennoch regen sich bereits jetzt auch kritische Stimmen, die besorgt auf die Akzeptanz blicken, die derzeit den Einschränkungen des öffentlichen Lebens entgegengebracht wird. Sie befürchten nicht zuletzt einen Gewöhnungseffekt, der staatlichen Begehrlichkeiten auch nach überstandener Corona-Krise noch zugutekommen könnte.
In der „Welt“ warnt Wirtschafts-Ressortleiter Olaf Gersemann, dass der Staat so viel Gefallen an seiner neu gewonnenen Gestaltungsmacht gefunden haben könnte, dass er sich diese auch nach Ende der Bedrohung durch das Coronavirus gerne behalten würde.
Die „Schicksalsergebenheit“, mit der vonseiten der Bevölkerung auf die Einigung zwischen Bund und Ländern über Reichweite und Durchsetzung einer möglichen Ausgangssperre geblickt wurde, habe vor allem verdeutlicht, „wie sehr sich in der Corona-Krise binnen Wochen, ja Tagen die Machtbalance zwischen Staat und Gesellschaft verschoben hat“.
Schreckgespenst „Finanzkapitalismus“ hat nicht die Demokratie unterminiert
Es sei nachvollziehbar, dass angesichts des Leids, das die Seuche über ganze Erdteile bringen könne, Ausgangssperren akzeptiert und keine Erbsenzählerei bezüglich massiv ausgeweiteter staatlicher Ausgabenpolitik gutgeheißen würde. Am Ende werde es aber nicht allein um die Rettung von Menschenleben und um Steuermilliarden gehen, sondern darum, ob der Primat der Politik, der sich jetzt in zuvor nicht gekanntem Maße festige, in dieser Form aufrecht bleiben würde.
Nach Jahren der Klagen über eine angebliche Unterminierung der Demokratie durch Globalisierung und einen angeblich so mächtigen „Finanzkapitalismus“ zeige sich nun, wie schnell der Staat in der Lage ist, sich umfassende Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuholen:
„Wie sehr der Staat in Wirklichkeit noch kann, wenn der Bürger ihn lässt, das zeigt sich jetzt. Und zwar nicht nur bei erzwungenen Ladenschließungen oder eingeschränkter Versammlungsfreiheit. Der Stabilitätspakt, für den ganze Generationen deutscher Wirtschafts- und Finanzpolitiker gestritten haben: kurzerhand aufgehoben. Haftungs- und kartellrechtliche Probleme, die einer konzertierten Aktion bei der Desinfektionsmittelproduktion entgegenstehen könnten: kurzerhand weggeräumt. Ordnungspolitische Bedenken gegen Staatsbeteiligungen an Unternehmen: auf einmal auch egal.“
Ohne „aktives Engagement“ keine Besserung
Dass derzeit Grenzen verschoben würden, habe gute Gründe, meint Gersemann. Er lässt jedoch Zweifel erkennen, ob sich diese Grenzen wieder in die andere Richtung verschieben ließen. Dass die einst in der Finanzkrise mit Staatsmitteln gerettete Commerzbank immer noch teilstaatlich sei, spreche dagegen.
Gersemann verweist auf das im September des Vorjahres erschienene Buch des US-amerikanischen Ökonomen Daron Acemoglu, in dem dieser sich dem fragilen Gleichgewicht zwischen staatlichem Machtanspruch und bürgerlichem Freiheitsdrang widmet. Er habe schon vor Ausbruch der Krise dargelegt, dass es eines „aktiven Engagements der Bürgergesellschaft“ bedürfe, um „dem Leviathan die frisch eroberte Macht wieder zu entreißen“.
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.
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