
„Kein Impfstoff, dessen Nutzen das Risiko überwiegt“ – WHO-Experte kritisiert Covid-Impfung ab zwölf
Die Impfkampagne für Schüler und Jugendliche ab zwölf Jahren läuft auf Hochtouren. Professor Klaus Stöhr, langjähriger WHO-Experte, fordert eine gute Abwägung von Nutzen und Risiko und erinnert an die Narkolepsie-Fälle nach der Schweinegrippeimpfung.

COVID-19-Impfstoffe.
Foto: iStock
Am Montag haben die Gesundheitsminister beschlossen, dass zukünftig allen Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren ein Impfangebot unterbreitet werden soll. Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) liegt dafür jedoch nicht vor.
Der Epidemiologe und Virologe Klaus Stöhr, der 15 Jahre für die WHO gearbeitet hat und zehn Jahre in der Impfstoffentwicklung tätig war, äußerte vor Kurzem: Es wäre zwar toll, wenn man Kinder und Jugendliche gegen COVID-19 impfen lassen könnte, „aber wir haben derzeit keinen Impfstoff für sie, dessen Nutzen das Risiko überwiegt“.
„Wenn einzelne Wissenschaftler oder Politiker die Stiko-Empfehlungen nun ablehnen, tun sie das in Deutschland nicht auf einer wissenschaftlichen Grundlage“, so Stöhr.
Aufgrund der Tatsache, dass es in den Altersgruppen der 10- bis 19-Jährigen im gesamten Zeitraum neun Todesfälle gegeben habe, müsse man die Impfung gut abwägen. Da die Impfstoffe noch nicht lange genug auf dem Markt sind, könne man nicht sicher sein, dass nichts „Schreckliches“ passiert. Dabei erinnert der Virologe an die Narkolepsie-Fälle, die nach der Verabreichung des Schweinegrippeimpfstoffs Pandemrix auftraten. Damals wurden in Europa relativ wenige Kinder geimpft. Jetzt hingegen gehe es darum, etwa 150 Millionen Kinder allein in Europa gegen eine Krankheit zu impfen, die bei Kindern einen milden Verlauf zeigt.
Narkolepsie
Narkolepsie ist eine Schlaf-Wach-Störung, bei der nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) folgende Symptome auftreten:
- exzessive Tagesschläfrigkeit
- Einschlafattacken
- Kataplexie (akuter, reversibler Verlust des Muskeltonus)
- Schlaflähmung
- bereits in der Einschlafphase einsetzende, lebhafte Traumaktivität (hypnagoge Halluzinationen)
- fragmentierter Nachtschlaf
- automatisches Verhalten
In einer Fall-Kontroll-Studie zu Risikofaktoren von Narkolepsie in Deutschland vom 16. Mai 2017 des PEI heißt es: „Neben der Pandemieimpfung wurden keine anderen Risikofaktoren für Narkolepsie identifiziert“.
Impfungen bald wie „sauer Bier“ angeboten?
Stöhr geht davon aus, dass überschüssige Covid-Impfdosen aus den entwickelten Ländern im nächsten Jahr wie „sauer Bier“ angeboten werden. Spätestens in zwei Monaten werden die ärmeren Länder mit „großzügiger Geste“ mit Impfstoffen bedacht, prophezeit er.
Eine Herdenimmunität könne man bei SARS-CoV-2 ohnehin nicht erreichen, erklärt der Virologe weiter. „Herdenimmunität ist nur von Bedeutung, wenn eine Erkrankung eliminiert werden soll. Das kann bei SARS-CoV-2 jedoch nicht gelingen.“
Richtig wäre aber, eine hohe Impfdichte bei den Vulnerablen, also der zur Risikogruppe gehörenden Menschen, zu erreichen. Idealerweise sollte diese weiter über den avisierten 85 Prozent liegen. Ansonsten gilt: „Je jünger, desto näher bewegt man sich an die Grenze, wo das Risiko der Impfung den Nutzen überwiegt.“
In Deutschland gelten 52,6 Prozent (Stand 3. August) der Bevölkerung als vollständig geimpft. Über 51 Millionen Einwohner (61,8 Prozent) haben bereits eine erste Impfdosis erhalten. Eine deutschlandweite Übersicht über die Anzahl der geimpften Kinder und Jugendlichen wurde bislang nicht veröffentlicht. In Mecklenburg-Vorpommern hatten bis zum 3. August 13,1 Prozent mindestens eine Covid-Impfung erhalten; 6,6 Prozent wurden bereits zweifach geimpft. Nach Aussagen des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn sind bundesweit über 900.000 Kinder und Jugendliche von zwölf bis 17 Jahren mindestens einmal geimpft, das sind etwa 20 Prozent dieser Altersgruppe.
Stiko-Chef Thomas Mertens hat inzwischen eine neue Empfehlung in den nächsten zehn Tagen angekündigt. Den Inhalt könne er aber noch nicht voraussagen. „Aktuell fragen mich ja alle, ob ich den Beschluss der Gesundheitsminister als Gegensatz zu unserer Empfehlung sehe. Nein, und ich rege mich auch nicht darüber auf“, erklärte er weiter. Das sei eine politische Entscheidung, „es ist die Freiheit der Politik so etwas im Sinne der allgemeinen Gesundheitsvorsorge anzubieten.“
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