
Wissenschaftlicher Dienst deckt Mängel im Gesetzentwurf auf: Berichtspflicht der Regierung? Fehlanzeige
Keine Befristung, keine Evaluierung und auch keine Verpflichtung, wonach die Bundesregierung dem Parlament regelmäßig Bericht erstatten muss. In seiner Stellungnahme vom 3. November spart der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages nicht an Kritik für die angedachten Änderungen zum Infektionsschutzgesetz.

Symbolbild.
Foto: Stock
Quarantäne, Kontaktverbote, Maskenpflicht. Seit Monaten begleiten uns diese Maßnahmen. Mit dem „Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sollten diese Rechtssicherheit erlangen, sodass die Maßnahmen auch Prüfungen durch Gerichte Stand halten.
Am 4. November nahm der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zum vorgelegten Dokument Stellung. Er kritisierte die fehlende Berichtspflicht der Bundesregierung. Auch eine Evaluierung und Befristung der Maßnahmen seien nicht vorgesehen. Teilweise würden Formulierungen nicht konkret definiert. Weiter mangele es an einer besseren Beteiligungsmöglichkeit des Bundestages am Erlass der Rechtsgrundlagen.
Die Gutachter kommen zum Entschluss, dass Paragraf 28a Absatz 1 Infektionsschutzgesetz lediglich „Regelbeispiele“ anstatt der geforderten Standardmaßnahmen enthalte.
Die Verwendung der Begriffe „einfache“, „stark einschränkende“ oder „schwerwiegende“ Schutzmaßnahmen, die je nach Höhe der „Neuinfektionen“ je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen vorgesehen sind, halten die Autoren des Gutachtens für „nicht überzeugend“, da sie an keiner Stelle im Gesetz definiert werden. „Auch die Begründung des Gesetzentwurfs liefert keine Klärung.“ Unter anderem werde auch nicht deutlich, was der Unterschied zwischen den einzelnen Schutzmaßnahmen sein soll.
Allein die Formulierung des Paragrafen 28a Absatz 2 des Entwurfs, dass bestimmte Schutzmaßnahmen „in Betracht kommen“, sei „rechtstechnisch ungewöhnlich“.
Die Schutzmaßnahmen, die unter Berücksichtigung der regionalen Infektionsgeschehen jeweils auf Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte an Schwellenwerten ausgerichtet werden, unterliegen einer sogenannten „Soll-Vorschrift“, sodass Ausnahmen möglich seien. Die Regelungen hätten einen „rein appellierenden Charakter“, erklären die Gutachter. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sehen sie bundesweit einheitliche schwerwiegende Schutzmaßnahmen als „problematisch“, weil die „Infektionen ungleichmäßig über das Bundesgebiet verteilt sein können“.
Beispielsweise könnte der Fall eintreten, dass in einigen Ländern sehr niedrige und in anderen Ländern sehr hohe Infektionszahlen vorliegen. Das könnte dazu führen, dass der Schwellenwert bundesweit überschritten wird. „In der Konsequenz wären schwerwiegende Schutzmaßnahmen auch in Ländern mit sehr niedrigen Infektionszahlen anzustreben“, schildern die Autoren.
Verhältnismäßigkeit und Befristung
Der Wissenschaftliche Dienst befürwortet es, zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, die der Bekämpfung der Corona-Pandemie dienen sollen, Befristungen einzuführen. Diese wurden sowohl bezüglich der Einzelmaßnahmen als auch für die Verordnungsermächtigung des Paragrafen 32 Infektionsschutzgesetz für sinnvoll erachtet. Der Gesetzentwurf sehe dies jedoch nicht vor.
Es werde auch nicht klar, was folgt, wenn die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite – die bislang nicht eindeutig definiert ist – aufgehoben wird. Nach den Formulierungen des Paragrafen 28a Absatz 1 des Entwurfs sei „denkbar, dass die in den Regelbeispielen genannten Maßnahmen nicht länger angeordnet werden dürfen.“ Unklar sei, welche Maßnahmen in diesem Fall noch auf die Generalklausel des Paragraf 28 Absatz 1 der Vorschrift gestützt werden können.
Weiterhin kritisiert der Wissenschaftliche Dienst die weitgehende Verordnungsermächtigung des Bundesgesundheitsministeriums, die gemäß Paragraf 5 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 Infektionsschutzgesetz Ausnahmen von Gesetzvorschriften in weitem Umfang ermöglichen. „Es wurde festgestellt, dass jedenfalls dies wohl nicht mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von Rechtsverordnungen vereinbar ist.“ Insoweit sei eine Aufhebung des „besonders problematischen“ vorerwähnten Paragrafen zu begrüßen.
Eine Beteiligung des Bundestages an den Rechtsverordnungen des Ministeriums sei jedoch weiterhin nicht vorgesehen. Auch der Empfehlung, eine Pflicht zur Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Maßnahmen und eine Evaluierung der Maßnahmen aufzunehmen, wurde nicht Rechnung getragen, kritisieren die Gutachten.
Unstimmigkeiten bei Datenlöschung
Abschließend weist der Wissenschaftliche Dienst auf Unstimmigkeiten der Regelung des Paragrafen 36 Absatz 8 Satz 1 des Entwurfs hin. Demnach können nach Deutschland einreisende Personen im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite verpflichtet werden, personenbezogene Angaben und Aufenthaltsorte der letzten zehn Tage vor und nach der Einreise sowie das genutzte Einreisemittel mitzuteilen. Erhobene Daten sind laut Vorschrift spätestens 14 Tage nach der Einreise zu löschen. „Hierbei wird keine Löschungspflicht für diejenigen Einreisewilligen normiert, die letztendlich nicht eingereist sind“, moniert der Wissenschaftliche Dienst.
Das neue Infektionsschutzgesetz könnte im Falle eine Verabschiedung im Bundestag am 18. November und Zustimmung des Bundesrates in seiner nächsten regulären Sitzung am 27.11.2020 bereits Anfang Dezember 2020 mit seinen weitreichenden Änderungen in Kraft treten. Als Grundlage für die bis dahin angeordneten Beschränkungsmaßnahmen kann es jedoch nicht dienen.
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