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Johannes Varwick

Außenpolitik-Experte: „Strategie gescheitert - Ukraine ist für den Westen verloren“

Gegenüber dem RND erklärt der Hallenser Politikwissenschaftler Johannes Varwick angesichts der russischen Militäroffensive, die Ukraine sei für den Westen verloren. Zudem sei dessen Strategie der Unnachgiebigkeit gegenüber Russlands Sicherheitsinteressen gescheitert.

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Die ukrainische Hauptstadt Kiew.

Foto: DANIEL LEAL/AFP via Getty Images

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Lesedauer: 3 Min.

In einem Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) äußert der Politikwissenschaftler Johannes Varwick, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Internationale Beziehungen und europäische Politik lehrt, dass die derzeitige russische Militäroffensive in der Ukraine das Ende der westlichen Ausrichtung des Landes bedeuten werde. Der Westen sei mit seiner Strategie im Umgang mit Russland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gescheitert.

Prognosen über möglichen Angriff auf Ukraine angezweifelt

Seit dem frühen Donnerstagmorgen (24.2.) greift die russische Armee Ziele in der gesamten Ukraine an. Ziel der Operation sei Präsident Wladimir Putin zufolge unter anderem die „Entmilitarisierung“ und die „Entnazifizierung“ des Nachbarlandes, in dem 2014 zum Teil militant antirussische Bestrebungen mit aktiver Unterstützung der USA und der EU den gewählten Präsidenten Wiktor Janukowytsch abgesetzt hatten.
US-Geheimdienste hatten bereits seit Ende des Vorjahres vor einem unmittelbar bevorstehenden, groß angelegten russischen Angriff auf die Ukraine gewarnt. Die Stichhaltigkeit der Prognosen wurde jedoch sowohl in Teilen der EU als auch in der Ukraine selbst angezweifelt – möglicherweise eine Konsequenz aus mehreren unpräzisen Einschätzungen der Geheimdienst-Community zu relevanten Fragen der Außenpolitik im Laufe der vergangenen Jahre.

„Beharren auf unseren Prinzipien war falsch“

Ob der derzeitige Großangriff von Putin von vornherein geplant war oder eine Konsequenz nicht ausreichender Bereitschaft des Westens zur Berücksichtigung russischer Kerninteressen, würden Historiker zu entscheiden haben, erklärte Varwick. Er selbst meint, der Westen hätte mit einer empathischeren Politik Entwicklungen verhindern können:
„Der Westen hat aus meiner Sicht nicht alle Möglichkeiten ausgelotet. Wir haben nicht verstanden, dass die Ukraine zu den Kerninteressen Russlands zählt. Es gab die Chance, mit einem neutralen Status der Ukraine eine Eskalation zu verhindern.“
Ein Beitrag zur Deeskalation wäre es möglicherweise gewesen, Russlands Angebot zu Gesprächen über eine Neuordnung der europäischen Sicherheitsordnung anzunehmen. Stattdessen habe man keinerlei Bereitschaft zum Entgegenkommen gezeigt – und diese Strategie sei gescheitert: “Das Behaaren auf unseren Prinzipien war falsch. Jetzt befinden wir uns in der schlechtesten aller denkbaren Situationen.”

Vertrauen zwischen Russland und dem Westen „auf Jahrzehnte zerstört“

Die Ukraine sei nun „für den Westen verloren“, so Varwick. Er rechne damit, dass Putin einen Regimewechsel durchsetzen wird. Man könne jetzt „nur stillschweigend akzeptieren, dass Russland gerade Fakten schafft“ – und darauf setzen, dass dies der letzte Schritt des Kremls sein werde. Für die Durchsetzung der russischen Kerninteressen in der Ukraine würde Putin im äußersten Fall sogar einen Nuklearkrieg in Kauf nehmen.
Allerdings sei die Ukraine auch ein „Sonderfall“, unterstreicht der Außenpolitik-Experte, Putin werde es nicht wagen, NATO-Mitglieder anzugreifen. Allerdings werde es eine Remilitarisierung der Politik in Europa geben und „Jahrzehnte dauern, bis das Vertrauen zwischen dem Westen und Russland wiederhergestellt ist“.
Grundlegende Veränderungen seien in Russland bestenfalls in Jahrzehnten zu erwarten. Bis dahin werde der Westen das alte Konzept des „Containments“ reaktivieren müssen.

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