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Meinung

EU vor dem Umbruch – Analyse von Russlandexperten Alexander Rahr

Der Chef der westlichen Führungsmacht USA distanziert sich von der „wertegeleiteten“ liberalen Politik, die im Westen seit dem Ende des Kalten Krieges Systemcharakter besaß. Die G7 ist praktisch tot und man wird gespannt sein, was auf dem bevorstehenden Nato-Gipfel noch alles passiert.

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Ohne fairen Freihandel zog sich Trump sich aus der G7 Abschlusserklärung 2018 zurück.

Foto: Jesco Denzel/Bundesregierung/dpa

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Vor dreißig Jahren zerbrach die europäische Nachkriegsordnung. Die Sowjetunion und der Warschauer Pakt lösten sich auf. Der Westen siegte auf gesamter Linie. Die Implosion des Systems ging vom damaligen Zentrum des Ostblocks aus. Michail Gorbatschow versuchte den Sozialismus zu reformieren, zerstörte dabei aber das gesamte totalitäre System. Die Parteichefs der verbündeten Warschauer Pakt Staaten bliesen früh Alarm. Sie verstanden nicht, was ihr Oberhäuptling im Schilde führte, begriffen aber schnell, dass sie dem Untergang geweiht waren.
Ein Vergleich zur heutigen Situation des Westens ziemt sich nicht. Trotzdem gibt es eine Ähnlichkeit: Der Chef der westlichen Führungsmacht USA distanziert sich von der „wertegeleiteten“ liberalen Politik, die im Westen seit dem Ende des Kalten Krieges Systemcharakter besaß. Die G7 ist praktisch tot und man wird gespannt sein, was auf dem bevorstehenden Nato-Gipfel noch alles passiert.

Europäer machtlos gegenüber Trump

Die Verbündeten in der EU, allen voran Deutschland, sind fassungslos. Donald Trump untergräbt mit seinen Handlungen das Fundament der westlichen liberalen Werteordnung. Er spaltet den Westen und provoziert seine Zersetzung. Die Verbündeten sind jedoch machtlos. Ihre Strategie begrenzt sich auf das Warten auf das Ende Trumps. Und wenn die Amerikaner ihn wiederwählen?
Wenn der US-Präsident seinen russischen Counterpart Mitte Juli trifft, wird er mit ihm eher eine gemeinsame strategische Sprache finden, als mit seinen EU-Verbündeten. Trump und Putin werden die Probleme Ukraine, Syrien, Nordkorea, Iran ausgehend von eigenen geostrategischen Interessen anpacken. Den heutigen Europäern ist das strategische Denken in solchen Kategorien abhandengekommen. Sie verharren weiter in ihrer werteorientierten Diplomatie, die weltfremd geworden ist.
Es ist allerhöchste Zeit aufzuwachen. Angela Merkel und Emmanuel Macron wollen die Europäische Union als eigenständigen Akteur in der Weltpolitik verankern – als autonomen Pol in der neuen multipolaren Welt, in der Amerika gegen Europa agiert und in der sich die EU gegen aufkommende Großmächte wie China und Indien durchsetzen wird müssen. Doch Berlin und Paris verkennen offenbar ihre gravierenden Schwächen und die Tatsache, dass immer mehr EU-Staaten eine deutsch-französische Führungsmacht für Europa ablehnen. Einige von ihnen hätten nichts dagegen, statt in der EU, in einer Pax Americana aufzugehen. Allein die Flüchtlingskrise, Europas größte Herausforderung seit dem Ende des Kalten Krieges, hat die EU auf Jahre hinaus gespalten und Misstrauen gesät.

Kanzlerdämmerung

Ein halbes Jahr benötigte Merkel nach der Bundestagswahl, um eine funktionierende Regierung auf die Beine zu stellen. Jetzt hängt ihre Kanzlerschaft, wegen des Asylstreits mit der Schwesterpartei CSU, am seidenen Faden. Führungsstärke in Europa sieht anders aus. Dass die Kanzlerdämmerung in Deutschland begonnen hat, kann sich den sorgenvollen Blicken der EU-Partnerländer nicht entziehen. Was Merkels Platz in der Geschichte so gefährdet, ist die Tatsache, dass sie in Deutschland und anderen EU-Ländern von vielen persönlich für die Migrationskrise verantwortlich gemacht wird.
Eine lang anhaltende politische Führungskrise in Deutschland für Europa bedeutet Stillstand bei drängenden Reformen, die das weitere Überleben der EU als Ganzes sichern sollen. Alternativen drängen sich zum stotternden deutsch-französischen Motor innerhalb der EU, die gerade Großbritannien als dritte Führungsmacht verliert, nicht auf. Trotzdem stecken liberale Parteien in Europa in der Krise, verlieren massiv an Wählern; vom Osten und Süden drängen rechte Kräfte an die Macht, um das europäische Modell zu revolutionieren.

Die EU nur Zaungast auf der Weltbühne

Wenn die EU in der komplizierten multipolaren Welt von morgen bestehen möchte, muss sie sich zu einer geopolitischeren Strategie bekennen. Trump redete mit dem Nordkoreaner Kim Jong-un nicht über Menschenrechte, wie es Merkel getan hätte. Er bot dem Diktator einen Deal an: US-Investitionen als Gegenleistung für Atombombenverzicht. Es ist anzunehmen, dass Trump mit Putin von der langjährigen wertegeleiteten Prämisse der westlichen Diplomatie mit-dem-Massenmörder-Assad-verhandeln-wir-nicht abrückt und Moskau einen Deal für die Befriedung Syriens anbietet.
Alexander Rahr gilt als einer der erfahrendsten Osteuropa-Historiker, er ist Politologe und Publizist. Er ist Projektleiter beim Deutsch-Russischen Forum und Deutschlandberater von Gazprom.
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar.  Er muss nicht zwangsläufig die Meinung des Verlags oder die Meinung anderer Autoren dieser Seiten wiedergeben.

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