Coronavirus: Gerät Deutschlands Elektronikindustrie ins Straucheln?
Deutschlands Elektronikindustrie ist stark von China abhängig. Liegt Chinas Produktion brach, führen Lieferketten zu einem Dominoeffekt an Verzögerungen. Für die Verbraucher könnten die Preise steigen.

China ist mit Abstand der größte Handelspartner Deutschlands in der Elektronikindustrie. Hersteller schätzen die Folgen des Coronavirus schlimmer als Lieferanten ein.
Foto: iStock
Autos, PCs, Smartphones, Industrieanlagen, Steuerungssysteme und Kraftwerke – eine nicht vollständige Aufzählung von Produkten, bei denen Deutschland von China abhängig ist. Deutschlands Elektronikindustrie könnte angesichts des Coronavirus ins Straucheln geraten.
30 bis 50 Prozent der Bauteile kommen aus China
China ist mit Abstand der größte Handelspartner Deutschlands in der Elektronikindustrie. Im Jahr 2018 importierte Deutschland Erzeugnisse der Elektronikindustrie im Wert von rund 52 Milliarden Euro aus China. Der nächstgrößere Handelspartner waren die USA mit 12 Milliarden. Auch umgekehrt war China im Jahr 2018 Deutschlands größtes Abnehmerland mit 21 Milliarden.
„Nicht nur fertige Geräte, sondern der größte Teil alle Vorprodukte und Bauteile, die in der Elektronik benötigt werden, kommen aus China”, schreibt Michael Gasch, CEO von Data4PC.
Bauteile kommen Gasch zufolge zum Beispiel in modernen Autos, PCs, Smartphones, in Industrieanlagen, Steuerungssystemen und Kraftwerken vor. Die Liste ist nicht vollständig. Wichtige Bauteile sind zum Beispiel Leiterplatten, passive Bauteile, Sensoren und Halbleiter. Leiterplatten kommen überall in der Elektronik vor (Auto über PC bis Küchengeräte), Halbleiter in Industrieanwendungen und bei der Autoproduktion, erklärt der Branchenkenner Gasch.
Störung der Lieferkette in Deutschland bald zu spüren?
“Die Elektronik spielt eine separate und ganz eigene Rolle”, schreibt Michael Gasch.
Elektronikhersteller stellen “Zwischen- oder Endprodukte aus Roh- oder Zwischeninputs” her, sagt Shawn DuBravac, Chefökonom des US-Elektronikfachverband “IPC” gegenüber “CNN”. “Selbst die Verzögerung eines einzelnen Inputs [kann] einen Welleneffekt von Verzögerungen in der Lieferkette verursachen, sagt DuBravac gegenüber “CNN”.
Wie stark die Lieferungen sich verzögern, hänge letztlich davon ab, welche Komponenten verzögert werden, so DuBravac weiter.
„Besonders betroffen werden die Abnehmer sein, deren Entscheidungskriterium in den vergangenen Jahren ausschließlich der Preis war”, erklärt Gasch.
In Chinas Fabriken mangelt es in vielen Produktionsstätten an vorgelagerten Lieferungen oder Arbeitskräften. Wanderarbeiter oder Angestellte sind noch in Quarantäne, einige Betriebe noch geschlossen und der Transport (Flug/Schiff) funktioniert ebenfalls noch nicht wieder.
70 Prozent der Smartphones kommen aus China
Besonders deutlich zeigen sich die Folgen in der Elektronikindustrie bei der Produktion von Smartphones, erklärt Gasch. Denn Chinas Anteil an der Produktion betrage 70 Prozent.
Auch die Vorleistungen kämen zum Teil überwiegend oder komplett aus China. Dazu gehören u. a. Bildsensoren, Displays und Leiterplatten. Und auch die dafür notwendigen Vorleistungen kommen wiederum überwiegend aus China – zum Beispiel Kupfer, Harze, Kupferfolien (55 Prozent) und Laminate (80 Prozent).
Insgesamt gebe es weltweit nur “ein bis zwei Dutzend Lieferanten”, die weltweit rund 2.500 bis 3.000 Hersteller von Leiterplatten beliefern müssen.
Die US-Elektronikhandelsgruppe “IPC” befragte 150 ihrer weltweiten Mitglieder über erwartete Lieferverzögerungen infolge des Virus. Es nahmen Lieferanten, Hersteller oder Verkäufer von Elektronik teil. 10 Prozent der befragten Unternehmen kamen aus Europa.
Die Studie zeigt: Die Hersteller schätzen die Situation schlimmer ein, als Lieferanten es ihnen sagen: Während die Lieferanten mit durchschnittlich drei Wochen Lieferverspätung rechnen, gehen die Hersteller von durchschnittlich fünf Wochen aus. 16 Prozent Hersteller rechnen mit einer Lieferverzögerung von mehr als sechs Wochen, aber kein Lieferant geht von mehr als sechs Wochen aus.
Eine Lieferverzögerung von mehr als drei Monaten habe nachteilige Auswirkungen auf die Gesamtproduktion, da Lieferbestände nur bis dahin reichen, so die Hersteller.
Kaum Alternativlieferanten in Europa
Wer zum Beispiel bei Leiterplatten bislang auf China gesetzt hat und jetzt auf europäische Hersteller umschwenken will, wird es schwer haben, erklärt Gasch, denn auch diese beziehen ihre Komponenten aus China. Und weiter:
„Jetzt gibt es so gut wie keine freigegebenen Alternativlieferanten in Europa, die einspringen könnten.
Europäer sind eher auf Spezialanfertigung und höchste Qualität (Raumfahrt etc.) eingestellt und können daher nicht die Masse produzieren, die benötigt wird. Chinas Anteil am Weltmarkt betrage im Jahr 2019 vorläufig rund 54 Prozent.
Was betroffene Firmen tun können – Unternehmen verlagern Standorte
Nach Informationen von IPC versuchen Hersteller und Zulieferer, Bestände auf nicht traditionellen “grauen” Märkten zu erhalten. die DuBravac zufolge könnten Unternehmen auch Produkte überarbeiten oder sich speziell auf Herstellungen ohne fehlende Komponenten konzentrieren.
Doch in vielen Fällen bliebe Hersteller und Zulieferer nichts übrig, als neue Entwicklungen zu beobachten und in ständigem Kontakt mit Lieferanten zu bleiben.
Unternehmen der Elektronikindustrie wollen die Abhängigkeit von China reduzieren und beginnen, Produktionsstandorte zu verlagern. Das sagten auch Unternehmen in der Umfrage von IPC.
„Wie so viele Produkte, die wir täglich benötigen, geht man ganz selbstverständlich davon aus, dass diese ‘immer vorhanden sind’ – bis es eben nicht mehr der Fall ist”, sagt Gasch.
Ein generelles Problem bei einer Standortverlagerung ist, dass China die vorhandene Infrastruktur schon hat, schreibt Fan Yu von “EET”. China hat Autobahnen, Schienennetze und Häfen jahrzehntelang aufgebaut. In anderen Schwellenländern ist das unter Umständen nicht der Fall. Dazu kommen Kapazitätsengpässe zum Beispiel in Vietnam und Thailand.
Verbraucher: Unterhaltungselektronik wird teurer
Für Verbraucher könnte der Endpreis steigen. Es könnte sein, dass “der eine oder andere” Unternehmer Waren überteuert verkauft, sagt Hans-Joachim Kamp, Aufsichtsratsvorsitzender von “gfu Consumer & Home Electronics GmbH” der Deutschen Presse-Agentur. Dies berichtete die “Lebensmittelzeitung”. Denn eigentlich sei die Branche sogar von Preisrückgängen geprägt.
Aber gfu betont in einer Pressemitteilung:
„Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich die möglichen Einflüsse des Corona-Virus (…) nicht seriös vorhersagen.”
Kamp rechnet damit, dass Ersatzkäufe getätigt werden, wenn der Coronavirus vorbei ist. Umfragen zufolge sei die Kaufbereitschaft von Verbrauchern hoch.
Aktuelle Artikel des Autors
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.