Zurück in die Freiheit impfen
"Die Pandemie ist nicht vorbei”: Bundesländer können weitere drei Monate Corona-Maßnahmen erlassen
Die Bundesländer können auch künftig Corona-Maßnahmen wie Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkungen erlassen. Der Bundestag hat am Mittwoch die Fortgeltung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite beschlossen. Die Opposition ist entsetzt.

Bundestagssitzung. Foto: Maja Hitij/Getty Images
Foto: Maja Hitij/Getty Images
Die Bundesländer haben für weitere drei Monate die rechtliche Befugnis, Corona-Maßnahmen wie eine Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkungen zu erlassen. Der Bundestag beschloss am Mittwochabend die Fortgeltung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, welche die Grundlage für die Verordnungen der Länder ist. Ohne den Beschluss zur Verlängerung wäre die epidemische Notlage Ende September ausgelaufen.
Für das Gesetz stimmten 325 Abgeordnete. 253 stimmten dagegen, fünf enthielten sich. Die Oppositionsfraktionen hatten bereits vor dem Votum angekündigt, der Vorlage der Koalition nicht zuzustimmen.
Die epidemische Lage, die mit dem Beschluss um bis zu drei Monate verlängert wird, war erstmals am 25. März 2020 festgestellt worden. Verlängerungen gab es am 18. November sowie am 4. März 2021 und 11. Juni dieses Jahres. Die Sonderlage gilt damit vorerst bis Ende November. Ohne erneute Bestätigung des Parlaments läuft sie nach drei Monaten aus.
Aus der Opposition kam teils scharfe Kritik. FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus warnte vor einer „Fortführung der automatischen und undifferenzierten Grundrechtseingriffe“. Von einer Überlastung des Gesundheitswesens sei man dank des Impffortschritts weit entfernt. AfD-Chef Tino Chrupalla sagte, unter den gegebenen Umständen bestehe keine Notwendigkeit, die Grundrechte weiter einzuschränken.
Abkehr von Inzidenzwert
In dem vom Bundestag gefassten Beschluss wird zudem die Bundesregierung aufgefordert, bis Montag eine Formulierungshilfe für die geplante Abkehr vom Inzidenzwert als maßgebliche Größe für Corona-Maßnahmen vorzulegen. Dafür muss das Infektionsschutzgesetz geändert werden. Künftig soll die Zahl der Corona-bedingten Krankenhausaufenthalte eine zentrale Rolle spielen.
“Die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen ist aufgrund des Impffortschritts nicht mehr zentraler Maßstab”, heißt es in der nun angenommenen Beschlussvorlage. Daher seien die bislang im Gesetz genannten Schwellenwerte “nicht mehr aktuell”. Deshalb sollten sich die Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie “zukünftig insbesondere auch an der Covid 19-Hospitalisierungsrate ausrichten”.
Bislang heißt es in Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes: “Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.” Diese Passage soll gestrichen werden.
“Die Pandemie ist noch nicht vorbei”
Für eine Abkehr vom Inzidenzwert hatte sich zuvor auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ausgesprochen. Die Gesetzesänderung könnte am 1. September vom Kabinett gebilligt und am 7. September im Bundestag beschlossen werden. Abschließend soll der Bundesrat auf einer Sondersitzung am 10. September über die Änderung entscheiden.
Eine weitere Änderung des Infektionsschutzgesetzes wurde am Mittwoch erstmals im Bundestag beraten. Sie betrifft die seit 1. August geltende Testpflicht für Einreisende nach Deutschland. Sie soll nun auch gesetzlich festgeschrieben werden, bislang gibt es dazu nur eine Verordnung. Auch diese Neuregelung soll der Bundestag am 7. September beschließen, am 10. September könnte dann der Bundesrat folgen.
In der Bundestagsdebatte vor der Abstimmung begründete Spahn die Verlängerung der epidemischen Notlage. “Die Pandemie ist noch nicht vorbei – so sehr wir uns das wünschen würden”, sagte er. Die Verbreitung der hoch ansteckenden Delta-Virusvariante habe den Kampf gegen die Pandemie “nochmal erschwert”.
Deutschland sei allerdings “alles in allem gut durch die Pandemie gekommen”, sagte der Minister. Nun gehe es darum, noch mehr Menschen für eine Impfung zu gewinnen: “Wir impfen Deutschland zurück in die Freiheit.”
64,4 Prozent aller Einwohner geimpft
Bei den Impfungen sind inzwischen 100,2 Millionen Dosen verabreicht worden. Das sei „eine der größten logistischen Leistungen in der Geschichte unseres Landes“, schrieb Spahn auf Twitter. Vollständig mit der meist nötigen zweiten Spritze geimpft sind nun 49,4 Millionen Menschen oder 59,4 Prozent der Bevölkerung. Mindestens eine erste Impfung erhalten haben 53,5 Millionen Menschen oder 64,4 Prozent aller Einwohner.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Wenn die Fallzahlen weiter so rapide steigen, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, dann wird es notwendig werden, die Regeln für Ungeimpfte zu verschärfen.“ Dazu zähle dann auch „eine möglichst konsequente 2G-Regel, zumindest in den Bereichen, wo ein sehr hohes Risiko besteht“. Damit ist gemeint, dass etwa bestimmte Veranstaltungen nur für Geimpfte oder Genesene zugänglich sind – nicht aber wie derzeit bundesweit auch für negativ Getestete.
Der Hamburger Senat hatte am Dienstag bereits ein „Optionsmodell“ beschlossen: Gastronomie, Clubs, Kneipen und Kultureinrichtungen in Hamburg können ihre Kapazitäten von Samstag an nahezu wieder vollständig nutzen, sofern Ungeimpfte keinen Zutritt haben. Bereits seit Montag gilt in immer mehr Bundesländern „3G“: Zutritt zu vielen öffentlichen Innenräumen nur für Geimpfte, Genesene und Getestete. (afp/dpa/oz)
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