
„Kriegsbeteiligung“? Deutscher in Polen nach Äußerungen zu Ukraine-Krieg vor Gericht
Ein Novum in der polnischen Justiz. So beschreibt der deutsch-polnische Anwalt Markus Matuschczyk den Fall seines Mandanten: Ein in Polen lebender Deutscher wurde dort wegen des „Beginnens und Führens eines Angriffskrieges“ angeklagt. Davor hatte sich der Menschenrechtler kritisch zum Ukraine-Krieg geäußert. Udo Leibmann droht nun eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren bis lebenslänglich.

Der Menschenrechtsverteidiger Udo Leibmann kommt aus dem Landgericht in Breslau, Polen.
Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Udo Leibmann
Leibmann, der in Polen das Pseudonym Udo Bawarczyk verwendet, arbeitete auch zeitweise als freier Journalist bei einem kleinen alternativen Fernsehsender.
Breslauer Staatsanwaltschaft klagt Leibmann an
In den Augen der Staatsanwaltschaft habe er damit unter „Vorsatz“ „öffentlich die Einleitung und Führung eines Angriffskrieges gelobt“ und so gegen Artikel 12 Paragraf 1 und Artikel 117 Paragraf 1 polnischer Strafkodex verstoßen.
Leibmann hingegen sieht eine politische Kampagne gegen sich, um eine kritische Stimme zum Schweigen zu bringen. Außerdem seien die Aussagen teilweise entfremdet oder stammen von anderen Personen, die er nur wiedergab.
Verteidiger: Fall ist Novum in der polnischen Justiz
Für Leibmanns Verteidiger, den deutsch-polnischen Rechtsanwalt Markus Matuschczyk aus Hannover, sei der Fall ein Novum und ihm sei kein Präzedenzfall bekannt.
„Denn im Kern ist es ein Meinungsäußerungsdelikt, um das es geht“, so Matuschczyk gegenüber der Epoch Times.
Er erklärt: Polen galt bislang als recht liberal, was die Meinungsäußerung anging, sogar noch liberaler, als es Deutschland sei.
„In Polen gibt es eine verfassungsrechtlich garantierte Meinungsäußerungsfreiheit und die wird normalerweise sehr breit ausgelegt. Dass die Aussagen meines Mandanten hier in dieser Art und Weise angeklagt sind, ist für mich erstaunlich und auch nicht nachvollziehbar“, so der Jurist.
Die Anklageschrift sei teilweise auch unklar formuliert, bemängelt er. Laut Überschrift gehe es um eine Meinungsäußerung in Form einer Billigung oder eines Gutheißens eines rechtswidrigen Angriffskrieges. In der Begründung hingegen werde Leibmann tatsächlich angeklagt, sich an diesem Angriff zu beteiligen.
Vom Strafrahmen sei das auch ein großer Unterschied. Das Strafmaß für Billigung eines Krieges reiche von drei Monaten bis fünf Jahren (Artikel 117 Paragraf 3), erklärt der Jurist. Wer einen Angriffskrieg plane oder sich daran beteilige, müsse hingegen mit einer Strafe von zwölf Jahren bis zu lebenslänglich rechnen (Artikel 117 Paragraf 1). „Das ist das härteste, was an Bestrafungspotenzial in Polen möglich ist, was hier von der Staatsanwaltschaft aufgeboten wird“, zeigt sich der Anwalt verwundert.

An der Front in Donezk gehen die Kämpfe zwischen dem ukrainischen und russischen Militär weiter.
Foto: Evgeniy Maloletka/AP
Kriegsbeteiligung durch Meinungsäußerung?
Dabei sei es wichtig, sich die Definition eines Angriffskrieges genau anzuschauen, so der Anwalt. Wenn sein Mandant verneine, dass ein Angriffskrieg durch Russland im Fall des Ukraine-Krieges vorliege, könne man dann schon von einer Billigung dieses Krieges oder gar einer Beteiligung an ihm sprechen?, fragt sich Matuschczyk im Gespräch mit Epoch Times.
Für den Anwalt ist grundsätzlich fraglich, ob man sich durch Meinungsäußerungen an einem Krieg beteiligen kann. Das ginge nach seiner weitesten Auslegung wohl nur im Verbreiten von Propaganda.
„Ein Präzedenzfall zum Fall meines Mandanten ist mir in der polnischen Rechtsprechung nicht bekannt.“
Kein Zugang zum elektronischen Gerichtsportal
Für den Anwalt seien mehrere Auffälligkeiten bei dem Prozess um Leibmann hervorstechend, die er aus anderen Verfahren an polnischen Gerichten nicht kenne.
So habe er erst nach dem zweiten Gerichtstermin Zugang zu dem Gerichtsportal bekommen, nachdem Epoch Times das polnische Justizministerium und das Gericht in Breslau dazu angeschrieben hatte. Der Zugang ist für die Verteidiger obligatorisch, denn dort können die Gerichtsprotokolle eingesehen oder Anträge gestellt werden. Gegenüber Epoch Times erklärte das Gericht, dass Matuschczyk falsche Log-in-Daten benutzt habe und das der Grund für den fehlenden Zugang sei. Der Anwalt erklärt, dass er alles so wie sonst auch getan habe.
Da die Antragstellung für Beweisanträge und Ähnliches befristet war und mittlerweile die Frist abgelaufen ist, sieht sich Matuschczyk gegenüber der Staatsanwaltschaft in der Verteidigung seines Mandanten behindert. „Der Zugang wurde mir bislang aus angeblich technischen Gründen verwehrt“, erklärt er gegenüber der Epoch Times.
Zuvor habe er dazu zwei Anträge gestellt, in denen er einen Zugang fordert, und auch eine Rüge eingereicht – doch ohne Erfolg. „Das war nicht hinnehmbar und eine klare Benachteiligung der Verteidigung.“
Hindernisse bei Einsicht der Gerichtsakte

Akten auf einer Richterbank.
Foto: Nicole Schippers/dpa
Denn Leibmann und seinem Verteidiger wurden im Vorfeld der Verhandlung untersagt, Leibmanns Gerichtsakte von mittlerweile fast 1.000 Seiten elektronisch selbst einzuscannen. Begründet wurde dies mit „internen Regelungen“. Leibmann habe die Akte lediglich Seite für Seite mit dem Handy abfotografieren dürfen.
Leibmann erklärte, dass das eigenständige Einscannen in früheren Gerichtsfällen, die ihn selbst betrafen oder wo er im Namen einer Menschenrechtsorganisation Einsicht in die Verfahrensakte beantragt hatte, kein Problem gewesen sei.
Nach wiederholten schriftlichen Rügen sei jetzt nur gegen Bezahlung eine Anfertigung einer Kopie durch das Gericht für 1 Zloty pro Seite möglich gewesen und das erst nach dem zweiten Verhandlungstermin, wenn er nicht selbst die Seiten mit seinem Handy abfotografieren möchte, so Leibmann. Bei 1.000 Seiten wären das rund 250 Euro an Kosten.

Verwundete ukrainische Soldaten werden am 3. April 2024 an einem unbekannten Ort in der Nähe der Stadt Chasiv Yar in der Region Donezk von ukrainischen Militärmedizinern behandelt.
Foto: Roman Pilipey/AFP über Getty Images
Leibmann sieht einseitige Vorverurteilung von Russland
„Es war eine einseitige Vorverurteilung gegen Russland.“

Nach Luftangriffen auf Belgorod, Russland, am 24. März 2024.
Foto: Stringer/AFP über Getty Images
OSZE stellte Zunahme von Gewalt in Ostukraine fest
Polnische Medien greifen Leibmann an
Nachdem Leibmann sich öffentlich geäußert und Aussagen von Kujat und Baud zum Ukraine-Krieg geteilt hatte, habe es teils heftige Diskussionen gegeben, berichtet er.
Aber es habe auch „massive Angriffe” auf ihn gegeben. Damit meint er sowohl Beschimpfungen in den Medien als auch Bedrohungen von unbekannten Menschen in der Öffentlichkeit. Nachdem er dann Beiträge aus den westlichen Medien wie ARD, ARTE und NBC über die Ukraine bezüglich des Zeitraums 2014 bis 2022 ins Polnische übersetzt veröffentlicht hatte, habe sich die Lage zugespitzt.

Ein teilweise eingestürztes Wohnhaus, das am 12. Mai 2024 durch eine durch die russische Luftabwehr abgeschossene ukrainische Totschka-U-Rakete getroffen wurde.
Foto: Stringer/AFP über Getty Images
Anklage nach Regierungswechsel
Nach dem Regierungswechsel in Polen im Dezember 2023 wurde das Verfahren jedoch wieder aufgenommen und die Anklage folgte am 20. Dezember 2023.
Die konservative PiS-Partei, die zuvor die Regierung stellte, ist bei der Parlamentswahl im Oktober 2023 zwar stärkste Kraft geworden. Sie stellt weiter mit Präsident Andrzej Duda das politisch einflussreiche Staatsoberhaupt, musste allerdings in die Opposition gehen, da sie keine regierungsfähige Koalition bilden konnte.
So begann nach der Wahl durch die Tusk-Regierung ein Umbau in verschiedenen Bereichen. Acht Jahre PiS in Regierungsverantwortung sollen offenbar rückgängig gemacht werden.
Die Staatsanwaltschaft unter der neuen Regierung habe eine Neubewertung durchgeführt, wurde Leibmann gegenüber die Anklage begründet. Leibmann wurde jetzt nicht mehr wegen „Billigung und Begünstigung eines Angriffskrieges“ angeklagt, sondern ihm wurde das „Beginnen und Führen eines Angriffskrieges“ vorgeworfen, so die schriftliche Begründung der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Angeklagten vom Dezember 2023.
Gericht nutzt Gutachten von Hassreden-Experten
Gutachter: Aussagen nicht von Meinungsfreiheit gedeckt

Ein Polizeiauto in Polen.
Foto: Doris Heimann/dpa
Gericht lehnt alle Beweisanträge und Zeugenbeweise ab
„Rein politischer Prozess“
Ziel des Gerichts sei gewesen, durch die Ablehnung aller Anträge der Verteidigung ihn direkt nach Verlesung der Anklagepunkte ohne Beweisaufnahme zu verurteilen, so Leibmann.
„Das Einzige, was das Gericht daran hinderte, war eine Frist auf eine Antwort auf einen Antrag, die noch nicht abgelaufen war.“
Am 26. Juni fand der nächste Gerichtstermin statt, an dem Leibmann krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte. Was bei dem Gerichtstermin genau geschah, war bisher aufgrund des fehlenden Zugangs zum Gerichtsportal für seinen Verteidiger unklar. Da sein Mandant nicht daran teilnehmen konnte, blieb auch er der Verhandlung fern.

Das Landgericht in Breslau, Polen.
Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Udo Leibmann
Laut Leibmann habe man es hier nicht mit einem rechtlichen, sondern mit einem „rein politischen Prozess“ zu tun. „Ich habe den Eindruck, egal, was ich vorbringe, meine Verurteilung steht schon fest, obwohl ich nach objektiven Gesichtspunkten nichts gemacht habe, was strafbar ist.“
„Ich bin der jetzigen Regierung offenbar zu unbequem.“
Leibmann: Es war kein Angriffskrieg
Eine der Aussagen in Bezug auf Russlands Eingreifen in den Regionen Donbas und Luhansk, für die Leibmann jetzt vor Gericht steht, lautet:
„Gott bless Putin! [sic] – Ich bin auf Putins Seite und empfehle, den Lügen in den polnischen, deutschen usw. Medien nicht zu glauben. Putin hilft auf Bitten der lokalen Regierungen und der Menschen, die dort leben, die sind froh, dass sie nach 8 Jahren Kriegsangriff durch die ukrainische Regierung endlich Hilfe bekommen. Die Europäische Union, die USA und die NATO hatten kein Problem damit, dass sie dort 8 Jahre lang Menschen getötet haben, die Minsker Abkommen verletzt haben, etc… Lassen Sie sich nicht von den deutschen Medien und den George-Soros-Medien hier in Polen manipulieren.“
Leibmann erklärt, dass es die Unterstützung Moskaus der russischen Separatisten in der Ostukraine und nicht die militärischen Aktionen Russlands im Westen der Ukraine betrifft.

Zwei ukrainische Soldaten in einer Panzerhaubitze an der Frontlinie bei Donezk.
Foto: Libkos/AP/dpa
Verteidiger: „Unser Ziel ist der Freispruch“
„Unser Ziel ist der Freispruch“, erklärt sein Anwalt gegenüber Epoch Times. Die Verteidigungslinie sei auf Transparenz ausgerichtet. „Herr Leibmann ist ein Mensch, der mit offenen Karten spielt. Wenn etwas Verwerfliches vorliegen sollte oder er tatsächlich einen Straftatbestand erfüllen würde, dann ist er natürlich bereit, das auch zu akzeptieren.“
Für Matuschczyk ist nicht auszuschließen, dass der Prozess gegen seinen Mandanten darauf ausgerichtet sei, einen unbequemen Regierungskritiker hart zu bestrafen, um andere Kritiker abzuschrecken. Die polnische Staatsanwaltschaft sei ähnlich wie in Deutschland eine weisungsgebundene Regierungsbehörde, so der Jurist.
Leibmann selbst steht hinter dem, was er gesagt hat. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen und bin bereit, die ganzen Hintergründe und meine Beweggründe für meine Äußerungen offenzulegen und Beweise vorzulegen, die das Ganze untermauern.“ Der nächste Gerichtstermin am Breslauer Landgericht steht noch nicht fest.
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