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plus-icon60. Jahrestag

Anwerbeabkommen mit Türkei war auch Antwort auf private „Übersetzungsbüros“

Anlässlich des 60. Jahrestages des deutschen Anwerbeabkommens für Arbeitskräfte mit der Türkei legt ein Historiker eine umfangreiche Analyse der Arbeitsmigration nach Berlin vor. Dabei wird deutlich, dass türkische Einwanderung schon vor 1961 stattgefunden hatte.

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Symbolbild für das Anwerbeabkommen zwischen der Türkei und Deutschland.

Foto: iStock

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Am 30. Oktober jährt sich zum 60. Mal das Arbeitskräfteabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei. Es war das vierte von insgesamt neun derartigen Abkommen, die in den Jahren zwischen 1955 und 1968 abgeschlossen wurden. Partnerländer waren neben der Türkei noch Spanien, Griechenland, Italien, Marokko, Südkorea, Portugal, Tunesien und Jugoslawien.

Abkommen blieben bis 1973 in Kraft

Die Abkommen beinhalteten Regelungen zum legalen Aufenthalt sogenannter Gastarbeiter, die ursprünglich über eine befristete Zeit in Westdeutschland eingesetzt werden sollten. Die DDR schloss ähnliche – in ihren Umsetzungsbestimmungen allerdings deutlich restriktivere – Vereinbarungen mit den RGW-Staaten Ungarn und Polen sowie mit Vietnam, Kuba, Nicaragua, Mosambik sowie dem Jemen und Angola ab.
Die Abkommen blieben bis im Jahr 1973 in Kraft, dem Jahr der Ölkrise, als es zu massenhaften Freisetzungen von Arbeitskräften kam. Anschließend wurde ein offizieller Anwerbestopp verfügt. Neue normative Rahmenregelungen zur Arbeitsmigration wurden 1998 für den unternehmensinternen Fachkräftetransfer und 2000 im Rahmen der sogenannten „Green Card“-Gesetzgebung in Kraft gesetzt.
Bisherige Literatur zu den Anwerbeabkommen und insbesondere jenem mit der Türkei fokussierte sich zum einen auf die volkswirtschaftlichen Bedingungen der damaligen Zeit, zum anderen auf die außenpolitischen Komponenten wie Mauerbau, Kalter Krieg und NATO, die den Abschluss des Abkommens begünstigten. Was bis dato wenig beleuchtet wurde, war die Binnenperspektive vonseiten der Einwanderer selbst und der Unternehmen, die sie anwarben.

Anwerbeabkommen sollten mehr Rechtssicherheit, aber auch Kontrolle schaffen

Diesen Fragen widmet sich ein jüngst erschienenes Buch mit dem Titel „Vom Gast zum Gastwirt?: Türkische Arbeitswelten in West-Berlin“ des Historikers Stefan Zeppenfeld. Er konzentriert sich in seiner wissenschaftlichen Abhandlung auf die Geschichte der Arbeitsmigration in Westberlin und zeigt einige bis dato allenfalls am Rande erwähnte Zusammenhänge sowie Besonderheiten auf, die auch mit der Insellage Westberlins zu tun hatten.
Während im Kontext mit dem Anwerbeankommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei bislang der Arbeitskräftemangel am Ende des „Wirtschaftswunders“ und der Wunsch, den NATO-Partner Türkei innenpolitisch zu stabilisieren, bei der Betrachtung im Vordergrund standen, ist es wenig bekannt, dass es bereits vor dem Abkommen eine nicht unerhebliche Bewegung von türkischen Arbeitskräften in die BRD und nach Westberlin gegeben hatte.
Verantwortlich dafür waren private sogenannte Übersetzungsbüros, die mit Fortdauer der Zeit auch Vermittlungstätigkeiten entfalteten. Mit ihrer Hilfe konnten Unternehmen mit hohem Arbeitskräftebedarf – in Berlin waren dies vor allem Siemens und AEG – den Mangel an heimischem Arbeitskräfteangebot ausgleichen. Die soziale Absicherung und die aufenthaltstechnische Sicherheit, die sich damit verbanden, waren jedoch gering. In der Türkei selbst war die Option jedoch beliebt, und schon im Frühjahr 1961 veröffentlichte das Massenblatt „Hürriyet“ die Kontaktdaten des Personalbüros von Siemens für Deutschland, was einen weiteren Anfrageschub auslöste.

Tiefenanalyse türkischer Arbeitsmigration

Die Vereinbarung der Anwerbeabkommen war insofern Ausdruck des Bemühens, die Arbeitskräftemigration in die boomende Nachkriegswirtschaft staatlicherseits unter Kontrolle zu bekommen und auch für die Angeworbenen mit – zumindest vorübergehend – größerer Sicherheit zu verbinden. Darüber hinaus sollte die staatliche Kontrolle über den Anwerbeprozess damals höchst relevante Probleme wie die Anreise der Arbeitskräfte nach Westberlin entschärfen. Diesen war nämlich explizit davon abgeraten worden, zu versuchen, den Landweg über die damalige DDR zu nehmen.
Neben den Anfängen der Arbeitsmigration aus der Türkei analysiert das Buch von Zeppenfeld auch die Details und den weiteren Verlauf der Beschäftigungsverhältnisse. Es wird herausgearbeitet, wo und in welchen Bereichen männliche und weibliche Arbeitskräfte nachgefragt waren, welche Unwägbarkeiten es rund um den Familiennachzug gab oder wie die Unternehmen versuchten, ihre anfängliche vermeintliche „Notlösung“ dauerhaft abzusichern. Der Historiker gibt auch Antworten auf die Frage, warum aus der angedachten befristeten Arbeitstätigkeit ein dauerhafter Prozess wurde.
Auch den Veränderungen in Bildungsprozess und Erwerbstätigkeit innerhalb der türkischen Einwanderercommunity in Berlin insgesamt finden in Zeppenfelds Veröffentlichung breiten Niederschlag. Insgesamt liefert er eine vielschichtige und detailreiche Aufarbeitung eines komplexen Themas, die Zahlen, Daten, Fakten und Zusammenhänge aufzeigt, wo in der politischen Aufarbeitung vorwiegend Parolen oder Gemeinplätze anzutreffen sind.

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