
OVG Brandenburg: Masken-Befreite müssen Dritten nicht ihre Diagnose offenlegen
Brandenburgs Regierung wollte mit einer verschärften Eindämmungsverordnung Gefälligkeitsattesten entgegenwirken, mit denen Ärzte Bürger von der Maskenpflicht befreien würden. Diese sollten fortan auch ihre Diagnose Dritten gegenüber preisgeben. Das OVG stoppte dies.

Symbolbild.
Foto: CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren Bestimmungen der 3. SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg außer Vollzug gesetzt, die eingeführt wurden, um angeblich weit verbreiteten Gefälligkeitsattesten entgegenzuwirken.
Diese würden manche Ärzte zu bereitwillig Patienten ausstellen, die sich auf diese Weise der Maskenpflicht entziehen wollten. Die Legitimität dieser Bemühungen finde dem Gericht zufolge dort ihre Grenze, wo Patienten ein höher zu bewertendes Interesse an der Geheimhaltung ihrer Gesundheitsdaten hätten.
Brandenburgs Regierung verlangt auch Vorweisen des Original-Attests
Der erste Beschluss war vom 4. Januar 2021 im Verfahren zu Az. OVG 11 S 132/20, in dem der zuständige Senat Bestimmungen des § 2 Abs. 3 der genannten Verordnung vorläufig außer Vollzug setzte.
In der Verordnung hieß es, dass Personen, denen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht möglich oder zumutbar sei, dies „vor Ort durch ein schriftliches ärztliches Zeugnis im Original nachzuweisen“ hätten.
Bezüglich des ärztlichen Zeugnisses wird in weiterer Folge präzisiert, dass dieses Zeugnis neben Name und Geburtsdatum auch die „konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung (Diagnose)“ sowie konkrete Angaben zu beinhalten habe, „warum sich hieraus eine Befreiung von der Tragepflicht ergibt“.
Befreiungen von Maskenpflicht sollten nicht „auf Vorrat“ gefertigt werden
Die Regierung hatte die Eindämmungsverordnung in Bezug auf die Maskenbefreiungsatteste verschärft, weil man der Gefahr von Gefälligkeitsattesten vorbeugen wolle. Es solle, so argumentierte man vor Gericht, „sichergestellt werden, dass ärztliche Zeugnisse individuell ausgefertigt und nicht auf Vorrat vorgefertigt“ würden. Ohne individuell ausgefertigte und aussagekräftige Zeugnisse könnte die Maskenpflicht auf breiter Ebene unterlaufen und so der Infektionsschutz unterminiert werden.
Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hatte im Vorfeld angekündigt, Schritte in Richtung einer strengen Kontrolle der Berechtigung von Befreiungsattesten zu setzen. Der „Berliner Zeitung“ zufolge hat sie dies unter anderem damit begründet, dass es insbesondere in Stadtparlamenten und Kreistagen bereits Fälle gegeben habe, in denen Abgeordnete keine Maske tragen wollten und sich auf Atteste berufen hätten.
In den meisten Fällen waren Abgeordnete der AfD betroffen, im Landtag selbst Lars Schieske, obwohl dieser als Berufsfeuerwehrmann über eine Atemschutz-Tauglichkeit verfügen müsse.
Gefälligkeitsatteste – ein aufgebauschtes Problem?
Wie weit das Phänomen sogenannter Gefälligkeitsatteste im Zusammenhang mit der Corona-Krise tatsächlich verbreitet ist, lässt sich aus amtlichen Zahlen noch nicht beziffern. Ärztekammern haben in Erklärungen eindringlich auf die Strafbarkeit der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB hingewiesen.
Bereits vor Jahren soll die BKK Hamburg mehr als 2.000 Arbeitgebern eine schwarze Liste mit den Namen von Ärzten zugesandt haben, die angeblich Gefälligkeitsatteste ausstellen. Eine Antwort der Bayerischen Staatsregierung auf eine schriftliche Anfrage eines Grünen-Abgeordneten vom 4.12.2020 (Drucksache 18/10772) weist jedoch für den bevölkerungsreichen Freistaat nur 19 Verfahren aus, die von Staatsanwaltschaften nach dieser Bestimmung geführt worden seien.
In zehn der mitgeteilten Verfahren wurden bzw. werden Ärzte als Beschuldigte geführt, nach Mitteilung der Generalstaatsanwälte richteten sich mindestens sechs davon gegen denselben Beschuldigten.
Diagnose als Dorfgespräch?
Der Antragsteller sah sich durch die Bestimmungen über die Offenlegung der Diagnose in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Daten unterlägen der ärztlichen Schweigepflicht und genössen insofern besonderen Schutz.
Es sei weder erforderlich noch angemessen, so der Antragsteller, dass er dazu genötigt sein solle, täglich potenziell intime Gesundheitsdaten „in Einzelhandelsgeschäften, Apotheken, im öffentlichen Nahverkehr, aber auch gegenüber seinem Arbeitgeber“ zu offenbaren, zumal diese ohnehin keine medizinischen Fachkenntnisse aufwiesen, die ihnen eine inhaltliche Überprüfung ermöglichten.
Konkret befürchte er, dass hochsensible Gesundheitsdaten, die ihn beträfen, durch Mund-Propaganda im Dorf „schnell die Runde machen“ könnten.
Privatpersonen trifft keine Schweigepflicht
Das Gericht schloss sich dieser Argumentation in weiten Bereichen an. Es sei bereits fraglich, ob der datenschutzrechtliche Eingriff, der dieser Regelung innewohne, im Infektionsschutzgesetz eine hinreichende Rechtsgrundlage finde.
Vor allem aber hält es das Gericht für nicht zumutbar, personenbezogene Gesundheitsdaten gegenüber Kassierern, Busfahrern oder Gebäudemanagern offenlegen zu müssen, die keine Schweigepflicht trifft. In der Begründung zu dem Beschluss heißt es:
„Soweit der Antragsteller befürchte, seine Gesundheitsdaten könnten durch Mund-Propaganda im Dorf schnell die Runde machen, sei dies nicht von der Hand zu weisen. Denn die Verordnung selbst bestimme nicht, dass die Personen, gegenüber denen der Nachweis zu erbringen sei, Stillschweigen über die Gesundheitsdaten zu bewahren haben. Auch sei die Preisgabe der erhobenen Gesundheitsdaten danach nicht bußgeldbewehrt.“
Nicht stattgegeben hat das Gericht hingegen dem Eilantrag, der darauf gerichtet war, die Pflicht zum Mitführen eines Original-Attestes aufzuheben. Diese sei weder unverhältnismäßig noch mit einer nennenswerten Belastung verbunden.
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