Thüringen: Bußgelder gegen Lehrer wegen Digitalunterricht?
Über Nacht änderte sich das Schulsystem in Deutschland. Der Unterricht fand nur noch als Homeschooling statt. Lehrer taten ihr Bestes, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Nicht alle haben bedacht, dass es auch unsichere Kanäle zur Datenverbreitung gibt.

Digitalunterricht in Zeiten von Corona.
Foto: OLIVIER DOULIERY/AFP via Getty Images
Nachdem plötzlich die Schulen auf Anordnung der Regierung wegen des aus China stammenden SARS-CoV-2 schließen mussten, wird Lehrern, Eltern und Schülern einiges abverlangt. Eltern wurden über Nacht zu „Hobby-Lehrern“, die zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung eine Balance finden mussten. Lehrer wurden zum Digitalunterricht verpflichtet und Schüler lernen, was ihnen geboten wird.
Ob während dieses Online-Lernprozesses Datenschutzverstöße eingetreten sind, prüft derzeit der Thüringer Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse. Dabei kann er Bußgelder gegen Lehrer nicht gänzlich ausschließen.
Unter Berücksichtigung diverser Abwägungskriterien könnten sich die Höhe der Strafen gegebenenfalls zwischen 100 und 1.000 Euro bewegen. Zu prüfen ist dabei, ob der Verstoß in der Verantwortung des jeweiligen Lehrers oder der Schule liegt.
Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Kathrin Vitzthum, bezeichnete die Ankündigung von Bußgelderhebungen gegen die Lehrer als „Schlag ins Gesicht“ derer, die quasi über Nacht nach Möglichkeiten gesucht haben, die Schüler auch im Distanzunterricht gut zu betreuen. Eigeninitiative dürfe in besonderen Situationen nicht zu Bestrafung führen.
Kinderdaten im Netz
Beim digitalen Lernen bestehe bei unsicheren Tools die Gefahr, dass Daten über unsichere Kanäle fließen, erklärte der Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse auf Nachfrage von Epoch Times. Gerade weil es sich um Kinderdaten handele, schenkt er dem Thema besonders viel Aufmerksamkeit. „Mein Ziel ist es nicht, die Lehrer mit Bußgeldern zuzupflastern“, betonte er.
Vielmehr wolle er erreichen, dass die Schulen, Lehrer und Eltern sensibler mit den Daten der Kinder umgehen. Diese sollen erkennen, dass aus Kinderdaten Profile entwickelt werden können, die Unbefugte für ihre Zwecke missbrauchen könnten.
Wenn durch das Auslesen der Daten durch Dritte Profile der Schüler erstellt werden, könnte es sein, dass ihnen Werbung zugeschickt wird. Das sei noch die harmlose Variante.
Kritisch sieht der Datenschutzbeauftragte die Situation, wenn aufgrund von gelösten Hausaufgaben oder Aufsätzen eine Bewertung und Einstufung der Kinder vorgenommen werde.
Dies könne so weit reichen, dass sie in eine bestimmte Schublade gesteckt werden, die sie im späteren Leben belastet. Als Beispiel nannte Hasse die unter Umständen fälschliche Zuordnung zu religiösen oder politischen Gruppierungen oder ein erstelltes Profil, anhand dessen die Bank keinen Kredit vergibt oder ein potenzieller Arbeitgeber die Einstellung ablehnt.
Die Möglichkeiten seien vielfältig. „Wir reden hier schließlich von Kinderdaten.“ Dabei hat der Datenschutzbeauftragte einen kriminellen Datenmissbrauch aus Sicht von Pädophilen noch nicht einmal in Betracht gezogen.
Schul-Cloud statt WhatsApp?
Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen darf der Thüringer Datenschutzbeauftragte keine Empfehlungsliste zu Software geben. „Ich kann vor einzelnen Software-Anwendungen warnen“, stellte er klar und fügte hinzu: „WhatsApp haben wir in Thüringen schon untersagt.“ Die Entscheidung begründete er damit, dass WhatsApp die Daten aus der Telefonliste auslese „und diese ohne Einwilligung der gespeicherten Leute an Facebook weitermeldet, obwohl der Nutzer das Vorliegen einer solchen Einwilligung zumeist wahrheitswidrig zusichert.“ Das sei auch nach der Rechtsprechung rechtswidrig.
In jedem Fall müsse der Einsatz einer Schulsoftware freiwillig von den Schülern und Eltern angenommen werden. Das sehe die Datenschutzverordnung vor. Hasse erklärt: „Wenn jemand die Teilnahme am Video-Unterricht ablehnt, müssten Alternativen entwickelt werden.“ Natürlich habe er Verständnis für die Situation der Lehrer, die über Nacht zum Digitalunterricht praktisch verpflichtet wurden. „Insofern hat es durch Corona in der digitalen Bildung eine Initialzündung gegeben“, betonte der Thüringer.
Allerdings seien die Schulen unterschiedlich mit der Situation umgegangen. So habe es Schulleiter und Lehrer gegeben, die sich an den Datenschutzbeauftragten gewandt und nach entsprechender Software gefragt haben. Insoweit könne man nicht alle Betroffenen „über einen Kamm scheren“.
Aus Sicht des Datenschutzbeauftragten Lutz Hasse steht Thüringen im Vergleich zu anderen Bundesländern gut da. Über das Kultusministerium wurden e-Mail-Konten für Lehrer eingerichtet. Zudem gibt es die Schul-Cloud und ein Video-Chatsystem, die von dem Datenschutzbeauftragten mitentwickelt wurden.
Jedoch stand die Thüringer HPI-Schul-Cloud zunächst nur 25 Pilotschulen zur Verfügung. Daher erklärt Kathrin Vitzthum, Landesvorsitzende der GEW Thüringen: „Wenn die Voraussetzungen an Hard- und Software fehlen, kann nicht die einzelne Lehrkraft zur Verantwortung gezogen werden.“
Bildungsminister gegen Bußgelder durch Datenschutzbeauftragten
„Lehrerinnen und Lehrer, die in der Corona-Krise mit hohem Engagement und unter hohem Zeitdruck das Lernen zu Hause organisieren mussten und nach den besten Wegen gesucht haben, den Kontakt zu ihren Schülerinnen und Schülern und zu den Eltern zu halten, sollten nun nicht mit Bußgeldern bedroht werden“, stellte Thüringens Bildungsminister Helmut Holte klar.
Datenschutz sei zwar ein hohes Gut, aber durch die Schulschließung in der Corona-Pandemie sei es zu einer Krisensituation gekommen. Der Bildungsminister betont:
„Priorität hatte hier zu Recht, alle Schülerinnen und Schüler schnell und gut zu erreichen, und dabei stelle ich mich ausdrücklich hinter die Kolleginnen und Kollegen.“
Vorgehensweise noch ungeklärt
Letztlich steht es noch nicht fest, ob der Datenschutzbeauftragte tatsächlich Bußgeldverfahren gegen Lehrer einleiten wird. Voraussichtlich soll nach seinen Angaben eine Umfrage weitere Aufschlüsse darüber geben, ob und inwieweit es zu Verstößen gegen den Datenschutz gekommen ist.
„In jedem Fall aber ist die Bußgeldfrage nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen, das heißt, sämtliche be- und entlastenden Elemente sind hierbei zu berücksichtigen“, so Hasse.
Insofern zeigte er sich über eine Pressemeldung erstaunt. Darin hieß es „Jetzt haben sich Ministerium und Datenschutzbeauftragter geeinigt“. Hasse erklärte: „Wir haben miteinander gesprochen.“ Dabei habe das Kultusministerium in den Raum gestellt, dass es gegebenenfalls eine „andere Variante“ empfehlen würde, falls es zu einem Bußgeld käme.
Was sich das Kultusministerium darunter konkret vorstellt, das müsse sich Hasse zunächst einmal ansehen. Dann erst könne er entscheiden, wie es weitergeht.
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