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Überwachung

Verfassungsbeschwerde gegen sächsisches Polizeigesetz in Karlsruhe eingereicht

"Praktisch jede Person kann Opfer tiefer Grundrechtseingriffe werden", erklärt der Jurist David Werdermann. Ein deutschlandweites Novum stellt die Befugnis zur intelligenten Videoüberwachung dar. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, dessen Koordinator der Jurist ist, reichte nun eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

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Die Polizei im Corona-Einsatz in Berlin (Symbolbild).

Foto: STEFANIE LOOS/AFP via Getty Images

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Lesedauer: 4 Min.

Der Verein Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage gegen das sächsische Polizeigesetz eingereicht. Die Klage richtet sich unter anderem gegen längerfristige Observationen, den Einsatz verdeckter Ermittler, Abhör- und Ortungsmaßnahmen und die Erhebung von Telekommunikations- und Internetdaten.
Zu den Klägern zählen Journalisten, Rechtsanwälte, ein Fußballfan und eine Sozialarbeiterin.
“Die neuen Befugnisse ermöglichen Überwachungsmaßnahmen weit im Vorfeld einer konkreten Straftat. Dadurch kann praktisch jede Person Opfer tiefer Grundrechtseingriffe werden”, erklärt David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator der GFF.

Vorverlagerte Überwachung verletzt Grundrechte und Rechtsstaatsprinzip

Konkret richtet sich die Verfassungsbeschwerde unter anderem gegen längerfristige Observationen durch Polizeibeamte, den Einsatz verdeckter Ermittler und von Vertrauenspersonen (§64), Abhör- und Ortungsmaßnahmen außerhalb der Wohnung (§63) oder gar die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 60 Abs. 2). Dazu gehören auch Datenerhebungen mit Bezug zu Telekommunikation und Internetnutzung (§66).
Als Straftat von erheblicher Bedeutung kommt nach dem Gesetz prinzipiell jede Straftat in Betracht, die organisiert begangen wird und geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören – sogar Bagatelldelikte wie Beleidigungen.
All diese Maßnahmen sind nach dem neuen Polizeigesetz schon weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr zulässig. “Schon wenn die Polizei lediglich annimmt, es könnte sich in der Zukunft eine gefährliche Situation entwickeln – was sich praktisch immer begründen lässt –, kann sie Personen auf vielfältige Weise überwachen”, so der Jurist.
„Für meine Arbeit bin ich unter anderem auf Kontakte in islamistische und kriminelle Milieus angewiesen“, so Arndt Ginzel, investigativer Journalist und einer der Kläger. “Diese Kontakte können künftig als Anhaltspunkt herangezogen werden, um auch mich zu überwachen.”

Intelligente Videoüberwachung verletzt Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Ein deutschlandweites Novum stellt die Befugnis zur intelligenten Videoüberwachung dar. Die Polizei darf danach nicht nur Videoaufzeichnungen anfertigen, sondern diese auch automatisiert mit polizeilichen Daten abgleichen (§59).
Dies schließt laut der Gesetzesbegründung den Abgleich von besonders sensiblen biometrischen Daten (Gesichtserkennung) ein. “Dadurch wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, weil die Maßnahme ohne konkreten Anlass zulässig ist”, erklärt Werdermann.
Theoretisch kann die intelligente Videoüberwachung im gesamten Grenzgebiet bis zu einer Entfernung von 30 Kilometern ins Land hinein durchgeführt werden. Das umfasst etwa die Hälfte der Fläche des Freistaats.
Für die Klägerin Anja Merkel, die im Rahmen der mobilen Jugendarbeit im Grenzgebiet arbeitet, bedeutet die intelligente Videoüberwachung eine empfindliche Einschränkung ihrer Freiheit: „Ich kann mich nicht mehr unbefangen bewegen, wenn ich ständig damit rechnen muss, dass die Polizei meine Gesichtszüge erfasst und abgleicht“, so die Sozialarbeiterin.
Die intelligente Videoüberwachung ist äußerst umstritten. “Sie ermöglicht eine bisher unbekannte Überwachung des öffentlichen Raums und begünstigt Diskriminierung”, so der Kläger. Ein Modellprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz habe im Jahr 2018 zudem eine erhebliche Fehleranfälligkeit zutage gebracht. Zuletzt seien Pläne zur Einführung intelligenter Videoüberwachung im Bundespolizeigesetz aufgegeben worden.

Handgranateneinsatz verstößt gegen Menschenwürde und Trennung von Militär und Polizei

Schließlich richtet sich die Verfassungsbeschwerde auch gegen den Einsatz von Kriegswaffen wie Handgranaten durch die Polizei (§ 40 Abs. 4). “Das verletzt nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Militär und Polizei, sondern auch die Menschenwürde”, so Werdermann weiter. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe der Staat nicht zwischen den Leben Unschuldiger abwägen. Das mache er jedoch, wenn er beim Einsatz von Handgranaten den Tod Unschuldiger in Kauf nimmt.
Auch beim sächsischen Verfassungsgerichtshof ist eine Klage gegen das Gesetz anhängig. Eingebracht wurde sie von Landtagsabgeordneten der damaligen Oppositionsparteien Linke und Grüne. Wann das Bundesverfassungsgericht über die GFF-Klage verhandelt, ist noch nicht bekannt. (nmc)

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