
Widerspruch zwecklos? Gesundheitsdaten von 73 Millionen Menschen für Forschung freigegeben
"Grundsätzlich haben Sie selbstverständlich die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dem stattgegeben wird, halte ich aber für relativ gering", sagt Christof Stein, Pressesprecher des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit.

Ein Hausarzt am Computer.
Foto: istock
“Daten helfen heilen”, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf der am Wochenende stattfindenden Innovationskonferenz Digital-Life-Design (DLD) in München. Mit dieser Begründung sind Gesundheitsdaten von über 73 Millionen gesetzlich in Deutschland Krankenversicherten” für Forschungszwecke freigegeben, ohne dass in dem Digitale Versorgungs-Gesetz ein Widerspruchsrecht für Patienten vorgesehen ist.
Epoch Times fragte beim Pressesprecher des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Christof Stein, genauer nach. Dieser bestätigte, dass nach dem Digitale-Versorgungs-Gesetz kein Widerspruch gegen die Datenübermittlung eingelegt werden könne.
“Allerdings besteht nach wie vor das ganz normale Widerspruchsrecht gemäß der Datenschutz-Grundverordnung”, erklärte Stein. Fristen seien dabei nicht zu beachten.
Wie läuft die Datenübermittlung ab?
Die Abrechnungsdaten aller gesetzlich Versicherten werden über den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, bei dem etwa 87 Prozent der Bundesbürger versichert sind, an die Forschungsdatenbank weitergegeben. Dabei werden die Daten nicht anonymisiert, sondern sollen pseudonymisiert weitergegeben werden. Der Unterschied bestehe laut Stein darin, dass man bei der Pseudonymisierung Informationen immer wieder den gleichen Datensätzen zuordnen kann.
„Das ist natürlich interessant für Langzeitstudien. Sie wollen ja auch Entwicklungen sehen.”
Auf diese Weise könnten Datenreihen gebildet werden, aus denen sich beispielsweise über längere Zeiträume die Wirkungsweise von Medikamenten ermitteln lassen.
Die Abrechnungsdaten werden auf dem Weg zur Forschungsdatenbank zweimal pseudonymisiert: einmal bei der Erfassung durch die Krankenkasse und dann nochmals von der Forschungsdatenbank. So könnten selbst die Krankenkassen die nochmals pseudonymisierten Daten nur mit großem Aufwand wiederfinden.
Gemeinwohl geht vor
Nicht jeder ist mit der Weiterleitung seiner, obgleich pseudonymisierten Daten einverstanden. Was kann der Bürger tun? “Da sind wir im Bereich, wo wir über Grundrechtskonflikte sprechen”, erklärte Stein.
Die Forschung diene einem hohen gesamtgesellschaftlichen Nutzen. Daher müsste der Bürger bei Einlegung seines Widerspruchs nachweisen, dass die Weitergabe der pseudonymisierten Daten einfache Rückschlüsse auf seine Person zulässt.
Dies sei beispielsweise bei “sehr seltenen” Krankheiten der Fall, die es in Deutschland nur ein- oder zweimal gibt. In diesen Fällen bestünde die Möglichkeit, dass man die betroffenen Patienten re-personalisieren könne. Bei den allermeisten Versicherten der Gesetzlichen Krankenkassen, ungefähr 73 Millionen Versicherten in Deutschland, dürfte dies laut Stein jedoch nicht der Fall sein.
„Grundsätzlich haben Sie selbstverständlich die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dem stattgegeben wird, halte ich aber für relativ gering.”
Der Widerspruch ist bei der Krankenkasse nach Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einzulegen. Letztendlich sei der Datenschutz durch die doppelte Pseudonymisierung und weitere Sicherungsmaßnahmen sehr hoch, auch wenn kein System einhundertprozentig sicher sei, sagte Stein.
Forschungszwecke: ein planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit
Der Begriff „wissenschaftliche Forschungszwecke“ ist weit. Darunter sind auch die angewandte und privat finanzierte Forschung sowie Auftragsforschung in und für die Industrie erfasst, schreibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in seiner Orientierungshilfe zum Gesundheitsdatenschutz.
Erforderlich sei, dass mit der Verarbeitung ein “ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit” angestrebt werde. Eine Verarbeitung nach dieser Regelung setze voraus, dass die Interessen des verantwortlichen Unternehmens an der Verarbeitung die Interessen der betroffenen Person an einem Ausschluss der Verarbeitung “erheblich überwiegen”.
So könne beispielsweise das Interesse an der wissenschaftlichen Forschung überwiegen, wenn ein Forschungsvorhaben “erhebliche Verbesserungen für die Gesundheit oder die soziale Sicherheit der Bevölkerung” mit sich bringt.
“Die betroffenen Personen sollten Gelegenheit erhalten, ihre Einwilligung nur für bestimme Forschungsbereiche oder Teile von Forschungsprojekten in dem vom verfolgten Zweck zugelassenen Maße zu erteile”, heißt es in dem vorgenannten Bericht.
Forschungsorientierte Big-Data-Analyse
Die DSGVO verfolge einen “forschungsfreundlichen Ansatz”. Daher sei eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Rahmen von forschungsorientierter Big-Data-Analyse laut dem Bericht auch ohne Einwilligung der Betroffenen erlaubt, wenn die nachfolgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt seien:
- Die Datenverarbeitung dient wissenschaftlichen Forschungszwecken oder statistischen Zwecken,
- die Datenverarbeitung ist zur Erreichung dieser Zwecke erforderlich,
- ein entsprechendes Spezialgesetz ist einschlägig (z.B. § 27 BDSG),
- es sind geeignete Garantien zum Schutz der Betroffenen implementiert und
- es besteht eine Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung.
Widerspruch gegen Datenweiterleitung
Wenn ein Patient der Weiterleitung seiner Gesundheitsdaten widersprechen will, müsse er laut der Orientierungshilfe zum Gesundheitsdatenschutz Gründe anführen, dass bei dem Patienten im Vergleich zu anderen Betroffenen eine atypische Konstellation vorliegt, die seinen “individuellen Interessen ein besonderes Gewicht verleiht”.
Dies könne etwa der Fall sein, wenn durch eine fortgesetzte Datenverarbeitung – nunmehr – eine Gefahr für Leib und Leben der betroffenen Person bestehe. Eine besondere Situation liege außerdem vor, wenn die Datenverarbeitung zu ethischen, sozialen, gesellschaftlichen oder familiären Zwangssituationen führe.
Wer der Weiterleitung seiner Gesundheitsdaten gemäß Artikel 21 DSGVO widersprechen will, kann sich an die landesweiten Verbraucherzentralen wenden. Laut Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen kann beispielsweise der Widerspruch damit begründet werden, dass der Patient in der Weiterleitung seiner Daten eine Verletzung in seinen Persönlichkeitsrechten sieht.
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