In Frankreich werden die wohlmeinenden, aber manchmal verwirrenden Reaktionen von Präsident Emmanuel Macron und seiner Regierung von den Populisten angegriffen, schreibt
„Politico“. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage gaben am 25. März über 70 Prozent der Franzosen an, dass sie der Meinung sind, dass die Regierung die Bewältigung der Krise nicht gut gelöst hat.
Druck auf Macron wächst
„Die Franzosen vertrauen der Regierung angesichts der Epidemie nicht mehr: Fast drei Viertel von ihnen sind der Meinung, dass sie ‚ihnen nicht die Wahrheit sagt‘ (70 Prozent) und vor allem, dass sie ‚nicht die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit trifft‘ (75 Prozent) und ‚nicht das tut, was nötig ist, um Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen für die Bekämpfung der Epidemie auszurüsten‘ (75 Prozent)“, schreibt in der
Umfrage das Institut Odoxa. Die Befragung wurde in Auftrag von „Pour France info“ und „le Figaro“ am 25. März durchgeführt.
Die neuste
Umfrage vom 1. April desselben Instituts zeigt hingegen einen vorsichtigen Optimismus: „Eine Mehrheit von 53 Prozent der Franzosen ist der Meinung, dass Emmanuel Macron und die Regierung angesichts der Corona-Pandemie nicht genug tun (weder zu viel noch zu wenig: 43 Prozent, zu viel: 4 Prozent). Aber das Urteil ist weniger streng als in der vergangenen Woche.“
Indes steigt die Zahl der Infizierten in Frankreich rasant, trotz strenger Maßnahmen im Land. Die Zahl der Todesfälle erreicht beinahe die Höhe von Italien oder Spanien (Stand am 5. April, 21 Uhr: 8076). Der Druck auf den französischen Präsidenten wächst. Seine Reaktion: Er stimmt ungewohnte, nationalistische Töne an,
schreibt die „Südwest Presse“.
Der Verfechter des Freihandels
wirbt neuerdings für den Grundsatz „Made in France“. Der Staatschef will Frankreich wieder unabhängig von China machen – zumindest was medizinisches Material wie Schutzmasken und Beatmungsgeräte betrifft. „Wir müssen mehr auf unserem eigenen Boden produzieren, um unsere Abhängigkeit zu verringern“, sagte Macron.
Gefahr von „rechts“ und „links“
John Lichfield von „Politico“ zufolge bestehe die Gefahr, dass „der Zorn und die Angst“ in der Bevölkerung wachsen wird. Es werde immer mehr „Feuer geschürt“, weil die Menschen zu Hause eingesperrt sind und sich mehr im Internet aufhalten als sonst.
Weitere Gefahren sieht Lichfield darin, dass die extremen Ansichten mancher Gruppierungen immer mehr an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen. Dabei bezieht er sich sowohl auf die rechte als auch die linke Seite. „Die Angriffe sind weitgehend frei von Fakten und mutieren wild zu Verschwörungstheorien und Pseudowissenschaften“, schreibt Lichfield.
„Politico“ fasst diese Theorien so zusammen: „Die Regierung/die politische Klasse/die Mächtigen/Eliten lassen die einfachen Menschen im Stich und/oder vom Ausbruch profitieren; COVID-19 ist ein Schwindel oder es wurde in einem französischen Labor erfunden; das Virus kann leicht mit billigen, gut getesteten Medikamenten behandelt werden und durfte sich nur ‚verbreiten‘, um Gewinne für ‚Big Pharma‘ zu erzielen.“
Weiter heißt es: „Andere behaupten, die Epidemie sei die Schuld von Ausländern/offenen Grenzen/Globalismus/der Europäischen Union, und Frankreich leide, weil sein staatlicher Gesundheitsdienst (einer der am besten finanzierten der Welt) durch ein liberales Dogma ‚abgebaut‘ worden sei.“
Einige dieser Behauptungen werden von Seiten verbreitet, die mit der oppositionellen Gelbwesten-Bewegung in Verbindung gebracht werden, so „Politico“ weiter. Manche würden aber auch von „extremistischen“ Politikern aufgegriffen und verbreitet, beispielsweise von der Leiterin der Nationalen Front,
Marine Le Pen.
Die langsame und unangemessene Reaktion der französischen Regierung sei ein Beweis für die Inkompetenz Macrons und den „Zusammenbruch des französischen Staates“, zitiert „Politico“ die französische Politikerin.
Frankreich anfangs passiv
„Reuters“-Reporter waren in Paris unterwegs und haben mit Passanten gesprochen. Ein Pariser sagte: „Ich bin wie viele andere auch. Ich glaube, es gab zwei Wochen lang Fehlinformationen, unsere Regierung hat – wie die Regierungen vieler Länder – nicht gut genug reagiert. Alle dachten, sie seien besser als die Chinesen – und nun haben wir das Ergebnis von heute.“
Die französische Regierung habe sich im Februar und Anfang März passiv verhalten. Sie habe sich langsam an die Beschaffung von Schutzausrüstungen gewagt. Und aus Mangel an Ressourcen habe sie sich dafür entschieden, keine systematischen Tests vorzuschreiben, wie es Deutschland tat, schreibt „Politico“.
Das Land hat aber schnell aufgeholt und 300 Milliarden Euro gegen die Virus-Epidemie und gegen die Folgen der Wirtschaftsbeschränkungen mobilisiert.
Macron verstärkt die nationale Produktion
Lichfield von „Politico“ sieht darin die Verschwörungstheorien oder die Kritik am Staat gar nicht bestätigt. Seiner Meinung nach gibt es keine besondere Behandlung der „Eliten“ und der französische Staat bricht auch nicht zusammen. „Macron, der angebliche Feind des staatlichen Handelns, hat beispiellose staatliche Mittel mobilisiert, um die einfachen Menschen und Unternehmen vor dem Elend zu bewahren.“
Ein hochrangiges Mitglied der Partei La République en Marche (LREM) von Macron sagte John Lichfield, der Präsident sei besorgt, aber hoffnungsvoll.
„Macron glaubt, dass nichts mehr ganz so sein wird wie vorher“, sagte er. „Wenn es zu Ende geht, wird es eine große Öffnung für populistische Stimmen geben, sowohl auf der extremen Rechten als auch auf der Linken – die Anti-Fremden, die Anti-Europäischen, die Anti-Globalen. Aber er glaubt auch, dass es den Wunsch nach bewährten Führungspersönlichkeiten und eine Abneigung gegen weitere Störungen geben wird.“
Es ist klar, dass der französische Präsident über die längerfristige Politik in der Corona-Krise nachdenkt, schreibt „Politico“. Am Mittwoch hat er bei einem Besuch in einer
Maskenfabrik in Anjou die „unverantwortlichen“ Stimmen stark kritisiert, welche in dieser Zeit sich gegen die Regierung wenden, obwohl der „Krieg erst noch gewonnen werden muss“.
Er versprach auch, dass Frankreich nach der Krise „unsere nationale und europäische Souveränität wiederherstellen“ würde, indem es medizinische und andere Produktionskapazitäten aus China und anderen Ländern in die Heimat zurückführen würde. Für Macron ist der Gedanke an die „europäische Souveränität“ alt; die Idee der wiederaufgebauten „nationalen Souveränität“ ist völlig neu.
John Lichfield ist ein ehemaliger Auslandsredakteur der „Independent“ und war 20 Jahre lang der Paris-Korrespondent der Zeitung.
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