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Thorsten Polleit: Die deutsche Staatsquote nähert sich dem Sozialismus

Der Staat übernimmt immer mehr Aufgaben, die früher durch den freien Markt erfüllt wurden beziehungsweise in der Selbstverantwortung der Bürger und Unternehmer lagen. Eine Analyse.

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Der Staat und seine Gelder: Woher kommen sie?

Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa

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Lesedauer: 9 Min.

Im Jahr 2021 betrug in Deutschland die Staatsquote 52,3 Prozent. Das war nach 55,1 Prozent im Jahr 1995 der zweithöchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Staatsquote bezeichnet die gesamten Ausgaben des Staates (für Gehälter, Verkehr, Bildung, Verteidigung, Zinsen, Sozialversicherung etc.) im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (also dem Wert aller Güter, die in einem Jahr im Inland erzeugt wurden).
Mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung beanspruchte also der Staat, ging durch seine Hände – oder verblieb dort. Das ist eine Entwicklung, die aufhorchen lassen muss. Schließlich beginne, so einst Altkanzler Helmut Kohl, bei einer Staatsquote von 50 Prozent der Sozialismus.
Seit den frühen 1960er Jahren steigt die Staatsquote in Deutschland im Trendverlauf stark an. Das heißt, die Geldmittel in den Händen des Staates sind im Durchschnitt der Jahre schneller gewachsen als die Einkommen insgesamt zugenommen haben.
Dahinter verbirgt sich eine immer stärkere Einflussnahme des Staates auf Produktion und Verteilung. Und in diesem Zuge hat der Staat auch immer mehr Aufgaben übernommen beziehungsweise an sich gerissen, die ehemals im freien Markt erfüllt wurden beziehungsweise in der Selbstverantwortung der Bürger und Unternehmer lagen. Das ist eine in vielen modernen Demokratien beobachtbare Entwicklung, für die die politische Ökonomik eine Erklärung bereithält.

Wie kommt der Staat an Geld?

Um gewählt zu werden, müssen Politiker, die in Staatsämter gelangen wollen, Mehrheiten für sich gewinnen. Das gelingt ihnen dann besonders gut, wenn sie ihren Wählern finanzielle Wohltaten versprechen, die die Wähler selbst nicht erwirtschaften können oder wollen. Doch wie lassen sich solche Wahlgeschenke finanzieren?
Ganz einfach: Die Steuerlast wird in der Demokratie einer einfach diskriminierbaren Minderheit aufgebürdet – und zwar den relativ wenigen Personen mit vergleichsweise hohem Einkommen. Und so kommt es, dass in Deutschland 10 Prozent der Einkommensverdiener etwa 50 Prozent der Einkommenssteuer zahlen. Doch die Besteuerung ist endlich, ihr sind ökonomische Grenzen gesetzt.
Werden die zahlenmäßig wenigen Hochverdiener zu stark besteuert, wandern sie nämlich in andere Länder ab, in denen sie weniger stark besteuert werden. Und wird die breite Bevölkerung immer stärker zur Ader gelassen – durch Einkommens- oder Umsatzsteuererhöhungen –, stehen den Politikern Protest und Widerstand ins Haus.
Um den unersättlichen Geldhunger des Staates und der von ihm begünstigten Gruppen zu stillen, greifen die Politiker daher besonders gern auf die Staatsverschuldung zurück. Sie bieten den Bürgern Schuldpapiere an, die diese freiwillig kaufen. Auf diese Weise gelangt der Staat ohne Widerstand an die Ersparnisse der Bürger.

Politische Grenze erreicht

Gerade die Schuldenwirtschaft hat – Dank der Niedrigzinspolitik der Zentralbank – viele Jahrzehnte für den Staat und die von ihm begünstigten Sonderinteressengruppen nahezu problemlos funktioniert. Doch mittlerweile hat sich das Blatt gewendet.
Die politischen Möglichkeiten für weitere Steuererhöhungen sind nahezu ausgeschöpft, und Investoren sind zurückhaltend, neue Staatsanleihen zu zeichnen. Daher hat die Europäische Zentralbank (EZB) Euro-Staatsschulden in großem Stil gekauft und mit neuen, aus dem Nichts geschaffenen Euro bezahlt. Ende Dezember 2022 besaß die EZB Anleihen in Höhe von 3,3 Billionen Euro, davon Staatsanleihen in Höhe von 2,6 Billionen Euro. Die EZB ist zum Schuldenfinanzierer der Staaten mutiert.
Weil aber die EZB vor allem seit Anfang 2020 ihre Geldschleusen sperrangelweit geöffnet hat, ist ein gewaltiger „Geldmengenüberhang“ entstanden: Die Geldmenge M3 ist seither um gut 25 Prozent angeschwollen, während das Güterangebot bei weitem nicht Schritt gehalten hat.
Der Geldmengenüberhang trifft nun auf die Kostenschubeffekte, die aus „grüner“ Politik, den Folgen der politisch diktierten Lockdowns und dem Ukraine-Krieg resultieren, und entlädt sich in Hochinflation. Das kommt den Staaten gerade recht. Schließlich handelt es sich bei Inflation im Kern um eine Steuer („Inflationssteuer“), die auf vielfältige Weise den Staat auf Kosten von Bürgern und Firmen bereichert.
Beispielsweise sorgt steigende Inflation für „kalte Progression“: Die Löhne und Gehälter steigen im Zuge der Inflation, gleichzeitig rutschen die Besteuerten unter einen höheren Steuersatz, so dass ihre reale Steuerlast ansteigt. Oder inflationäre Scheingewinne der Firmen werden besteuert, und den Betrieben wird so Substanz entzogen.

Inflation hilft dem Staat, seinen Einfluß auszuweiten

Vor allem aber öffnet Inflation dem Staat Tür und Tor, seinen Einfluss in Wirtschaft und Gesellschaft weiter auszubauen. Denn Inflation schafft Bedrängnis und Not für viele.
Politiker wissen das zu nutzen: Sie bieten öffentlichkeitswirksam Hilfszahlungen (Wohngeld, Subventionen etc.), vor allem aber greifen sie zu marktfeindlichen Maßnahmen.
Hierzu zählen etwa Preiskontrollen für Energie und Nahrungsmittel, Höchstpreise für Mieten, Lohnstopps und anderes mehr. Das bläht die Bürokratie auf, nicht zuletzt weil der Staat auch für Überwachung und Bestrafung bei Zuwiderhandeln sorgen muss.
Das Wenige, was vom System der freien Märkte noch übrig ist, kommt somit auch noch unter die Räder. Die Inflation setzt einen Prozess in Gang, der den Staat nahezu allmächtig werden zu lassen droht: Der Staat beeinflusst und bestimmt immer stärker, was wann unter welchen Bedingungen zu produzieren ist, und wer was wann und wie viel konsumieren darf. Das ist unheilvoll der Weg in die Befehls- und Lenkungswirtschaft, in den wirtschaftlichen Niedergang.
Die Inflation befördert das Staatswachstum dann ganz besonders stark,
  • wenn die Menschen die Ursache der Inflation – und das ist die Geldmengenvermehrung durch die staatliche Zentralbank – nicht kennt und folglich auch nicht abstellen kann;
  • wenn sie hereinfallen auf die Heilversprechen der Politiker und der ihnen dienenden Hauptstrom-Ökonomen, der Staat – und nur der Staat – könne für Abhilfe und Besserung sorgen;
  • wenn sie die Inflation als das vergleichsweise kleinste Übel akzeptieren, um ein vermeintlich noch größeres Übel – wie beispielsweise die Staatspleite – abzuwehren.
Die Inflation ist kein Naturereignis, dass über die Menschen hereinbricht, sondern sie ist menschengemacht. Und aktuell kommt man nicht umhin zu schlussfolgern, dass die Inflation politisch gewollt ist.

Widerstand gegen Umbau der Gesellschaft lahmlegen

Denn die Hochinflation hilft, die wahren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten, die die „Große Transformation“, der „Great Reset“ verursachen, vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen, den Widerstand der Menschen gegen den Umbau lahmzulegen: Mit niedrigen Zinsen, immer neuen Schulden, finanziert durch die elektronische Notenpresse, verschleiert man Produktions- und Einkommensrückgänge, gaukelt einen Wohlstand vor, der in dieser Weise gar nicht mehr existiert.
Immer mehr Menschen und Industrien hängen am Tropf des Staates, und damit hält die Unfreiheit unerbittlich Einzug. Eine solche Entwicklung aufzuhalten und umzukehren, ist ein schwieriges Unterfangen. Doch unmöglich ist es nicht.
Was dafür erforderlich ist, ist eine grundlegende Abkehr von kollektivistischen-sozialistischen Ideen, die den Menschen als gut und richtig verkauft und mit denen heutzutage die Existenz und die Aufgaben des Staates (schein-)legitimiert werden – und die Hinwendung zur Idee der Freiheit des Individuums, des Privateigentums und der Gleichheit vor dem Recht; dass niemand berechtigt ist, einem anderen mit Gewaltandrohung zu etwas zu zwingen, ihm etwas gegen seinen Willen wegzunehmen.
Wenn diese Ideen die Einstellung und Haltungen der Menschen prägen, dann ist auch der unheilvolle Weg zum Maximalstaat, der seit Jahr und Tag beschritten wird, zu Ende, dann ist die entscheidende Grundlage für Frieden und Wohlstand der Menschen in der Gemeinschaft gewahrt.
Ein „Weiter so“ wie bisher führt hingegen in den Maximalstaat, in dem die Freiheit des Individuums keine Überlebenschance hat, und in dem Mangel, Not, Zwang und Gewalt herrschen.
Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel in Frankfurt/Main, Europas größtem Edelmetallhandelshaus. Davor war er als Ökonom 15 Jahre im internationalen Investment-Banking tätig. Er ist zudem Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland und Buchautor. Weitere Informationen unter: www.thorsten-polleit.com

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.

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