Kredentialismus
„Experten raten, nicht auf Experten zu vertrauen“
In einem Essay warnt der US-Journalist Daniel Greenfield vor unkritischem Vertrauen in sogenannte Experten. Es gebe eine Inflation an akademischen Weihen.

Der beliebte österreichische Musiker Willi Resetarits (verstorben am 24. April 2022) hatte sich selbst als "Dr. Kurt Ostbahn" zum "Doktor der Kurtologie" promoviert.
Foto: Herbert Pfarrhofer/APA/dpa
In einem bissigen Essay für sein Blog „Sultan Knish“ warnt US-Journalist Daniel Greenfield vor blindem Vertrauen in sogenannte Experten – und was Medien als solche bezeichnen. Ein in den USA vor COVID-19 eigentlich kaum bekanntes Phänomen, das als „Kredentialismus“ bekannt sei, greife immer mehr um sich. Dies sei nicht nur unangebracht, so Greenfield, sondern auch potenziell gefährlich.
Einschätzungen sogenannter Experten, die niemand hinterfrage, hätten nicht nur in der Corona-Zeit zu weitreichenden Freiheitsbeschränkungen geführt. Sie dienten auch dazu, missliebige Meinungen zu unterdrücken – etwa im Zusammenhang mit sogenannter Desinformation:
„Experten warnen vor der Zunahme von ‚Fehlinformationen‘. Und Fehlinformation wird mittlerweile dadurch definiert, dass die Menschen nicht mit den Experten übereinstimmen. Experten sagen, dass jeder, der anderer Meinung ist, deplatformed werden sollte. Wenn Sie mit dem Deplatforming (Deutsch: „die Plattform nehmen“) nicht einverstanden sind, sollten Sie auch deplatformed werden.“
Kredentialismus schafft neues Klassensystem
Selbst wo erkennbar gleiche Sachverhalte aufgrund ideologischer Voreingenommenheit eine unterschiedliche Bewertung erführen, fänden sich sogenannte Experten, um dies zu rechtfertigen. In der Corona-Zeit seien auch zur Begründung von Kehrtwenden immer wieder passende Experten herangezogen worden, um diese zu rechtfertigen. Je nach politischem Bedarf sei die Pandemie einmal unter Kontrolle, dann wieder könnte eine neue Welle erhöhte Vorsichtsmaßnahmen rechtfertigen.
Eigentlich bezeichne der Begriff Experte Personen, die „durch Erfahrung weise“ geworden sind, erläutert Greenfield. Heute beweise er lediglich die nachgewiesene Fähigkeit, standardisierte Tests zu bestehen. Allerdings sei schon länger auch in den USA eine Tendenz zur Selbstermächtigung durch eine akademische Klasse zu beobachten:
„Die Verwendung von Doktortiteln in Namensbezeichnungen ist in europäischen Ländern als Klassenkennzeichnung allgegenwärtig. Die Amerikaner haben sich früher über die absurde Aufgeblasenheit von Ärzten, die keine Mediziner waren, lustig gemacht, weil wir nie ein Klassensystem hatten. Der Kredentialismus konstruiert eines, das aus Experten besteht, die selbst in den Tagen der Schädelvermessung nie weniger glaubwürdig waren.“
Inflation der Experten – jedes Jahr drei Prozent mehr Doktortitel
Die USA, so Greenfield, hätten eine regelrechte Inflation an Doktortiteln erlebt. Zwischen 2000 und 2018 habe sich die Zahl der Menschen mit Doktortitel von zwei Millionen auf 4,5 Millionen mehr als verdoppelt. Im selben Zeitraum sei die Zahl an Institutionen, die Doktortitel verleihen, um mehr als zehn Prozent gestiegen.
Während des Jahres 1958 hätten insgesamt erst 8.773 Personen in den USA einen Doktortitel erworben, die meisten davon in wissenschaftlichen Fächern. 1969, im Jahr der Mondlandung, wurden 25.743 Doktortitel verliehen, die meisten davon in den Naturwissenschaften. Dies sei die Konsequenz aus dem Apollo-Projekt gewesen.
Mittlerweile verfüge die Arizona State University über die „landesweit erste School of Social Transformation“ als Teil eines Doktorandenprogramms für Gender Studies. Sogar Fettstudien hätten mittlerweile ihre Promotionsprogramme. Das jährliche Wachstum von Doktortiteln und Doktortitel verleihenden Institutionen liege bei drei Prozent.
Ein System dieser Art diene in erster Linie dazu, die frisch gekürten Akademiker zu beschäftigen, damit diese ihre Studienkredite zurückzahlen könnten. Dennoch beanspruchten sie als Experten höchste Autorität.
Die Welt als steriles Labor
Die zunehmende Zahl von Experten sei ein Zeichen für den Niedergang der individuellen Autonomie, diagnostiziert Greenfield. Dieser Prozess habe zu Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen. Entstanden sei eine neue Klasse von Experten, Denkfabriken und erfundenen Autoritäten. Diese hätten begonnen,
„sich die Welt als steriles Labor vorzustellen, in dem die Gesellschaft und die Menschen zur Perfektion gebracht werden sollten. Das große Experiment, das mit Sozialismus, Eugenik und dem Ende der Nationen begann, endet nun mit einem Cargo-Kult von Clowns, die ihre wertlosen Diplome in den Himmel recken.“
Bezeichnend sei dabei ein exemplarisches Beispiel: Slowenien, ein ehemaliges kommunistisches Land, habe den höchsten Prozentsatz an Doktortiteln in Europa. Weder das Land noch der Rest der Welt hätten davon jedoch einen nennenswerten Nutzen.
Der Niedergang von echtem Fachwissen zum Kredentialismus führe zu einer „kafkesken Tyrannei“, die jeden Bereich des modernen Lebens durchdringe, so Greenfield
.
„Diese verlangt, dass die politisch bequemen Meinungen jedes woken Doktors in einem erfundenen Bereich so behandelt werden, als hätten sie die Wahrheiten von Isaac Newton oder Albert Einstein.“
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