Neben dem bewährten Kevlar sollen künftig „neue“ Materialien wie Seide für kugelsichere Schutzwesten verwendet werden. Doch was macht Seide so stark und kugelsicher? Die Antwort liegt in ihrem Inneren verborgen.
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Aus Seide wurden bereits die strapazierfähigen Saiten einer Geige hergestellt.
Spinnen und Schmetterlingsraupen sind die Meister der Werkstoffkunde. Sie schaffen es, ein Material herzustellen, das härter ist als der vom Menschen erfundene Stahl, aber gleichzeitig dünn, leicht, biegsam und dehnbar. Aber wieso ist Seide so stark?
Laut Physikern des MIT liegt die Kombination aus Festigkeit und Dehnbarkeit in ihrer ungewöhnlichen Anordnung von Atombindungen begründet. Seide besteht vor allem aus Proteinen, die dünne und flache Kristallscheiben bilden. Diese sind wie Kekse in einer Rolle übereinander aufgestapelt und durch schwache Wasserstoffbrückenbindungen miteinander verbunden.
Zwei Seidenspinner (Bombyx mori) an ihren Kokons.
Foto: ermess/iStock
Was die Seide schließlich so fest macht, sind die Kristallscheiben, die kleiner als fünf Nanometer sind und sich innerhalb jedes „Kekses“ in ihrer Ausrichtung abwechseln.
Diese besondere Struktur macht sie so flexibel und stark gegen äußere Kräfte. Sollte es zu einem Bruch kommen, zerbrechen nicht alle Kekse auf einmal. Außerdem wird dies schnell wieder repariert, indem neue Kekse hinzukommen.
Die besondere Struktur von Seide mit einzelnen Nanokristallen, jeder aufgebaut wie ein Keksstapel, macht ihre Fasern so widerstandsfähig.
Foto: M. Buehler/MIT, mit freundlicher Genehmigung
Noch stärker wird die Eigenschaft von Seide, wenn ihre Fasern zu Stoffen verwebt werden. Dies passiert traditionell, indem mindestens zwei Fadensysteme rechtwinklig abwechselnd über- und unterkreuzt werden, sodass ein stabiles Gittermuster entsteht.
Origami macht Seide noch stärker
Wiederum verstärkt wird dieser Effekt, wenn Stoffe aus Seide gefaltet werden – etwa wie Einstecktücher in der Brusttasche von Herrenanzügen. Dieses Prinzip ist so ähnlich, wie wenn Papier immer wieder auf die Hälfte seiner Größe zusammengefaltet wird: Es lässt sich schlechter schneiden, reißen oder durchstechen.
Ebenso bremsen diese Lagen den möglichen Aufprall eines Geschosses. Allgemein gilt dabei: Je mehr Lagen, desto größer ist der Effekt. Dieses Prinzip veranschaulichen Filmregisseure oft mit einem dicken Buch, welches Menschen sich zum Schutz gegen Pistolen vor den Körper halten und überleben, weil das Projektil in der Lektüre stecken bleibt. – Je nach Buch, Materialstärke, Abstand und Kaliber der Schusswaffe kann dies erfolgreich sein.
Bei einem Seidentuch ist der Effekt genauso stark oder noch stärker, wie der US-amerikanische Arzt George E. Goodfellow vor über 100 Jahren mit eigenen Augen feststellte. Die Idee für kugelsichere Westen aus Seide ist indes noch älter und führt nach Deutschland.