
Sprachforscher der Uni München: „Dialekt ist eine Art Zusatzqualifikation“
Eine Studie zur Veränderung regionaler Begriffe im deutschsprachigen Raum zeigt, dass regionaltypische Dialekte immer mehr verloren gehen – mit fatalen Folgen. Denn Mundart sprechende Kinder machten 30 Prozent weniger Rechtschreibfehler – und wer Dialekt und Hochdeutsch spräche, hätte es später in der Schule leichter mit Fremdsprachen.

Opa und Enkel auf einer Wellenlänge.
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Fleischlaberl, Klops oder doch Bulette? Während in weiten Teilen der Schweiz und Österreichs Dialekte „mit einem gesunden Selbstbewusstsein“ verwendet werden, wurden vor allem in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung aus Statusgründen lokale und regionale Ausdrücke ersetzt, weiß Linguist Stephan Elspaß von der Uni Salzburg zu berichten. Er ist Mitautor der Studie zur Veränderung regionaler Begriffe im deutschsprachigen Raum.
„Die sprachliche Situation im deutschsprachigen Raum ist komplex“, heißt es in der Studie. Das Spektrum umfasse die üblichen Standards, lokale Dialekte bis hin zu supralokalen Mundarten. Das Sprachniveau unterscheide sich sehr stark. Sagen Norddeutsche beispielsweise Brötchen, so heißt es in Baden-Württemberg Weck(er)le, in Bayern und Österreich Semme(r)l und in der deutschsprachigen Schweiz Mütschli oder Brötli.
Dialekte – Fortschritt oder Hindernis?
Eine Studie von Anthony Rowley, Sprachforscher und Mundart-Experte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, fand heraus, dass ein Kind, das mit Dialekt und einer Standardsprache (beispielsweise Deutsch) aufwächst, für die Hirnforschung als mehrsprachig gilt.
Anhand der literarischen und eines Dialektes bewanderten Größen wie Goethe und Schiller stellt Rowley dar, dass der Dialekt die Ausdrucksfähigkeit nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil:
„Dialekt ist eine Art Zusatzqualifikation.“
Wer Dialekt und Hochdeutsch spräche, hat es später in der Schule leichter mit Fremdsprachen. „Die größte Gefahr sind die Kindergärten“, kritisierte Rowley. Es sei schlecht, wenn die Ausdrucksfähigkeit der nachwachsenden Generation verloren gehe.
Eine Studie der Universität Oldenburg, die über mehrere Jahre die Aufsätze von Dritt- bis Sechstklässlern untersuchte, bescheinigt dem Dialekt einen weiteren Vorteil: Mundart sprechende Kinder machten 30 Prozent weniger Rechtschreibfehler. Wer mit einer Mundart aufwächst, könne einen Gegenstand durch verschiedene Wörter beschreiben.
So kennen dialektsprechende Kinder zum Beispiel nicht nur Karotte und Möhren, sondern auch Gelbe Ruabn oder Wuddeln. Diese Variationskompetenz, wie Wissenschaftler es nennen, fördert das abstrakte Denken und erleichtert es später, eine Fremdsprache zu erlernen.
Mut zum Dialekt
Dialekte sterben immer mehr aus, heißt es in einem Beitrag auf „HR info“. Immer weniger würde in Deutschland mit dem für die Region typischen Dialekt gesprochen werden. Der Sprachwissenschaftler und Uni-Professor Jürgen Erich Schmidt erklärt:
„In den 60er Jahren hatten wir eine fatale Sache in der Schule. Die Lehrer haben den Eltern gesagt, sprecht mit euren Kindern Hochdeutsch, Dialekt ist ein Bildungshindernis.“
Früher saßen Eltern und Großeltern gemeinsam am Tisch und sprachen Dialekt. Wenn Kinder in die Stube kamen, wechselte man sofort ins Hochdeutsche, „um die Kinder vor dem Dialekt zu bewahren“. Dabei hätten wissenschaftliche Untersuchungen nachgewiesen, dass Kinder, die Dialekt und Hochdeutsch sprachen, viel leichter Fremdsprachen lernen und mit Sprache umgehen können. Ihr Sprachverarbeitungszentrum im Gehirn sei besser ausgebildet.
Ein weiterer Nachteil, den die kaum noch gesprochenen Mundarten mit sich bringen, ist die Tatsache, dass „dieses deutsche Kulturgut kaum noch weitergegeben wird“. Das sei eine „Schande“, so Schmidt weiter. Auch wenn Dialekte in Deutschland immer weniger verwendet würden, seien diese in der Heimat des Sprachwissenschaftlers noch ziemlich lebendig.
„Ich will halt doch zeige, dass isch aus Hesse bin“, sagt der Sprachwissenschaftler. „Deshalb ist es, denke ich, ein wichtiger Teil unseres alltäglichen Lebens, den es dann auch zu bewahren gilt.“
Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland
In Nord- und Ostdeutschland ist beispielsweise in den 1990er Jahren das Wort Sonnabend verbreitet gewesen, wie Linguist Stephan Elspaß schreibt. Nach 25 Jahren wurde diese Variation im Westen durch den Samstag abgelöst, während der Sonnabend noch im Osten die vorherrschende Variante sei.
Auch bei der Bezeichnung der Uhrzeiten zeigt laut Studie sich eine Veränderung. War in Ostdeutschland früher noch die Bezeichnung Dreiviertel sechs für die Uhrzeit 5:45 Uhr üblich, so hat sich das Viertel vor sechs aus Westdeutschland langsam in den Osten verschoben. In vielen Regionen hat sich auch herumgesprochen, dass mit dem in der ehemaligen DDR bezeichneten Pfannkuchen ein Eierkuchen gemeint ist.
Seit Anfang der 1970er Jahre werden die deutschen umgangssprachlichen Ausdrücke untersucht. In Zusammenarbeit mit „Spiegel Online“ und dem „Tagesanzeiger“ fand seit dem 25. April 2015 eine neue Online-Aktion im deutschsprachigen Raum in Form eines Quiz statt, an der über 1,9 Millionen Menschen teilgenommen haben. Eine der darin gestellten 24 Fragen lautete beispielsweise, wie man das „(zweite) Frühstück, das die Menschen an ihrem Arbeitsplatz einnehmen“ in der jeweiligen Region nenne.
Zur Wahl standen die Antworten: Frühstückspause, Pause, (zweites) Frühstück, Brotzeit, Jause, Vesper, Znüni und Neuner. Nach Beantwortung des Fragebogens wurde über eine Online-Landkarte angezeigt, zu welchem deutschsprachigen Raum die Begriffe gehören. Die Teilnehmer hatten sodann die Möglichkeit, weitere Daten zu Alter und Geschlecht an das Portal zu übermitteln.
Dabei werden die Teilnehmer nicht nach eigenen Gebräuchen, sondern nach den Varianten gefragt, die ihnen in ihrer Region gebräuchlich erscheinen. So stellte sich in der Studie heraus, dass im Bereich Rheinland-Pfalz und im Saarland, wo früher das Wort Vesper die Frühstückspause dominierte, dieser Begriff inzwischen von den Worten Frühstückspause/Pause oder Kaffeepause verdrängt wurde.
Hingegen sei das Schweizer Znüni oder die österreichische Jause weitgehend unberührt erhalten geblieben.
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