Professor Karl Friston, der normalerweise Hirnfunktionen mittels mathematischer Modelle erforscht und sein Wissen für Berechnungen zur COVID-19 Ausbreitung zur Verfügung stellte, bringt einen neuen Aspekt in die Coronaforschung: Immunologische “Dunkle Materie”. Die ungewöhnliche These erklärte er kürzlich in einem Interview in der britischen Zeitung
“The Guardian” näher. Dabei spricht er von einem Faktor, der bisher nicht erklärbar sei, aber seine Auswirkungen zeigt.
Während seine mathematischen Berechnungen über den COVID-19 Verlauf in England sehr akkurat waren, lassen sie sich nicht auf Deutschland umlegen. Und das, obwohl Bevölkerungsdichte, der Altersschnitt der Bevölkerung, sowie Risikofaktoren, wie Übergewicht, zwischen Deutschland und Großbritannien sehr ähnlich sind.
“Es gibt verschiedene potenzielle Erklärungen – für die vergleichsweise wenig dramatischen Folgen des Virus in Deutschland”, sagte Friston. “Aber eine, die zunehmend wahrscheinlich aussieht, ist, dass es in Deutschland mehr immunologische “Dunkle Materie” gibt – Menschen, die unzugänglich für das Virus sind, weil sie vielleicht geografisch isoliert leben oder irgendeine Art natürliche Resilienz besitzen.”
Resilienz beschreibt in der Neuroforschung eine psychische Widerstandsfähigkeit sowie die Fähigkeit Krisen zu bewältigen.
Der Faktor, der bisher nicht verstanden wird
Professor Friston beschreibt die Dunkle Materie, als einen Faktor, den wir nicht verstehen, der aber dennoch seinen Effekt hat. “Das ist wie mit der Dunklen Materie im Universum: Wir können sie nicht sehen, aber wir wissen, dass sie vorhanden sein muss, um zu erklären, was wir sehen können”, so Friston. “Zu wissen, dass so etwas existiert, ist extrem nützlich für unsere Vorbereitungen auf eine zweite Welle.”
Laut Friston könnte eine natürliche Resilienz von verschiedenen Bevölkerungen der Grund für glimpfliche Ausgänge der Pandemie sein. Er halte daher in Ländern wie Deutschland die gezielte Testung von Risikopatienten sinnvoller, als die “wahllose Testung in der ganzen Bevölkerung.”
These stößt auf Widerspruch in Deutschland
Widerspruch zu der These kommt von deutschen Forschern. Die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum
sagte, dass das “intensive Testen” ein wichtiger Grund war, warum der COVID-19 Verlauf in Deutschland weniger dramatisch war, als in anderen Ländern. Auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit der Universität Hamburg äußert sich gegenüber der These skeptisch. Er verweist in einer Stellungnahme im
“Spiegel” auf das gute Gesundheitssystem in Deutschland.
Virologin Professor Brinkmann sagte über die These von Professor Friston: „Dunkle Materie kann alles Mögliche sein – eigentlich heißt es ja nichts anderes, als dass es Dinge gibt, die wir bislang nicht kennen und erklären können. Das ist bestimmt so“. Für sie sei es für Deutschland aber wahrscheinlicher, dass “frühzeitige Tests und zügiges und entschlossenes Handeln einen Unterschied gemacht haben.”
{#gesichtsmasken}