Schulen in der Pflicht
Wirtschaft spielt keine Rolle im Unterricht – trotz Interesse der Schüler
Raus aus dem Elternhaus, rein ins Leben. Ganz so einfach, wie sich viele Jugendliche diesen Neustart vorstellen, ist es nicht. Und von den wichtigen Themen wie Finanzen und Wirtschaft haben viele keine Ahnung.

Viele praktische Dinge, die man fürs Leben braucht, werden in der Schule nicht vermittelt.
Foto: iStock
Miete, Steuern, Versicherungen – solche und ähnliche Themen prasseln oft auf junge Erwachsene ein, wenn sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Doch für die meisten sind diese Aspekte Neuland. Justus Lenz, Leiter des Liberalen Instituts der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, sieht hier die Schulen in der Pflicht, wie er in einem Interview gegenüber der Wirtschaftszeitung „Capital“ erklärt.
Wissen rund um praktische Fragen wie „Welche Versicherung brauche ich und wie kann ich Geld anlegen?“ spielen im Unterricht kaum eine Rolle, kritisiert Lenz. „Aktuell liegt es fast nur am Elternhaus, ob dieses Wissen vermittelt wird.“ Aus seiner Sicht gehört ökonomische Bildung zur Staatsbürgerkunde – nur vermitteln tut es kaum jemand.
Staat als Problemlöser, Unternehmer als Randerscheinung
Für eine der jüngsten Studien der Universität Siegen habe ein Forscherteam 40 Schulbücher und Lehrkräftebände angeschaut. Das wichtigste Ergebnis sei gewesen, dass Unternehmer nur sehr wenig Beachtung darin fanden.
„Der Staat hingegen kommt sehr häufig als Akteur vor, als universeller und paternalistischer Problemlöser, wie die Wissenschaftler schreiben“, schildert Lenz.
Aus einer Umfrage des Instituts Civey im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung ging hervor, dass 78 Prozent der Befragten angaben, sie hätten im Unterricht „eindeutig zu wenig“ oder „eher zu wenig“ über wirtschaftliche Themen gelernt.
Nur jeweils acht Prozent erinnerten sich daran, in der Schule Aspekte wie Akten und Anlagen oder Steuerwissen beleuchtet zu haben. Hingegen wurden Bereiche wie Inflation sowie Zinsen und Zinseszins in größerem Umfang behandelt.
Abhilfe könnte laut Lenz ein eigenes Schulfach „Wirtschaft“ schaffen, das von ausgebildeten Wirtschaftslehrern unterrichtet wird, die sich mit ökonomischer Methodik auskennen. Denn Umfragen würden ganz klar zeigen, dass Kinder und Jugendliche an solchen Themen interessiert sind.
Eklatanter Mangel an Fortbildungen für Wirtschaftslehrer
Dass Schülern Grundkenntnisse im Wirtschaftsbereich fehlen, ist keine neue Erkenntnis. Aber auch die Fortbildung der Lehrer stellt sich problematisch dar. Die OeBIX Schwerpunkt-Studie des Instituts für Ökonomische Bildung (Stand 31. März 2024) macht deutlich: „60 Prozent aller Fortbildungen für Wirtschaftslehrkräfte fehlt der ökonomische Bezug.“
Das Institut hatte entsprechende Fortbildungsangebote durchsucht, die im Zeitraum vom 15. August 2022 bis 14. August 2023 auf den offiziellen Portalen der Bildungsministerien der Länder angeboten wurden. Dabei stießen sie auf 1.744 Fortbildungen.
„Nur 15,6 Prozent der Angebote befassen sich ausschließlich mit ökonomischer Bildung“, heißt es in der Studie. „Damit gibt es für Lehrkräfte im Bereich der ökonomischen Bildung einen eklatanten Mangel an Fortbildungen.“
In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise wurde im untersuchten Zeitraum lediglich eine Maßnahme angeboten; in Thüringen gab es immerhin schon drei.
„Das ist umso dramatischer, weil gerade fachfremd unterrichtende Lehrkräfte auf die fachwissenschaftliche und wirtschaftsdidaktische Nachqualifizierung über Fortbildungsangebote angewiesen sind“, heißt es von der Stiftung.
In vier Bundesländern gab es eine, in fünf weiteren Bundesländern nur eine einzige Fortbildung zu Verbraucherperspektiven, die sich mit Themen wie Versicherungen, Krediten und Verschuldung, Altersvorsorge sowie Haushaltsplanung beschäftigen.
Keine Ahnung von Unternehmensgründung
Auch die Entrepreneurship Education – die im engeren Sinn den Aufbau von Fachwissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten bedeutet, die für eine erfolgreiche Unternehmensgründung erforderlich sind – spielen in den Fortbildungsangeboten für Lehrer so gut wie keine Rolle.
Dabei gilt sie als wichtiger Teilbereich einer modernen ökonomischen Bildung, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen wie digitaler Strukturwandel und Nachfolge im Mittelstand.
Im Rahmen einer schulischen Entrepreneurship Education sollen unternehmerische Kreativität, Innovationsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein gefördert und den Schülern die berufliche Selbstständigkeit als eine zukünftige Handlungsoption aufgezeigt werden.
Auf diese Weise könnten junge Menschen wichtige Führungs- und Leitungskompetenzen entwickeln; sie lernen, eigene Projekte zu leiten, Entscheidungen zu treffen sowie Risiken abzuschätzen und werden zu mehr Selbstständigkeit ermutigt.
Doch auch hier klafft in der Praxis eine breite Lücke. In elf Bundesländern wird keine Fortbildung angeboten, in deren Beschreibung Entrepreneurship Education explizit erwähnt wird.
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