Meinung
Verfassungsreform verschafft Putin eine Hintertür zum Verbleib in der Politik
Die Ära Putin wird in Russland überwiegend als eine Zeit betrachtet, die nach Kommunismus und anarchischen 1990er Jahren die Stabilität ins Land zurückbrachte. Aus der Stabilität ist mittlerweile aber Stagnation geworden. Nun soll die Duma aufgewertet werden.

Wladimir Putin. Foto: Pool/Getty Images
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Mit einem Paukenschlag endete die Rede zur Lage der Nation, die der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, am Mittwoch (15.1.) vor den beiden Kammern des Parlaments hielt. Bislang pflegte der Präsident diese viel beachtete Adresse erst für Ende März anzusetzen. Überraschend kündigte er jedoch schon zu Beginn des Jahres an, die Rede diesmal vorzuverlegen.
In seiner Ansprache kündigte Putin an, eine umfassende Verfassungsreform zu veranlassen und diese der Bevölkerung in einem Referendum zur Abstimmung stellen zu wollen.
Kern der Reform soll die Stärkung der Rechte des Parlaments sein. Künftig sollen der Regierungschef und die führenden Regierungsmitglieder von diesem bestimmt werden statt wie bislang durch den Präsidenten. Zudem soll es Personen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit nicht mehr möglich sein, für hohe Staatsämter zu kandidieren.
Noch am selben Tag erklärte Premierminister Dmitri Medwedew, für die Medienöffentlichkeit völlig überraschend, den Rücktritt der gesamten Regierung.
Dies solle Putin die Möglichkeit geben, „alle erforderlichen Maßnahmen“ in die Wege zu leiten, um die Reformen auf den Weg zu bringen. Medwedew und die zurückgetretenen Minister werden auf Ersuchen des Präsidenten die Regierungsgeschäfte vorerst provisorisch weiterführen.
Hintertür für möglichen Wechsel ins Amt des Premierministers bleibt offen
Mit der geplanten institutionellen Umgestaltung will Putin, der – nach dem Umweg über eine temporäre Rochade zwischen dem Amt des Präsidenten und des Premierministers von 2008 bis 2012 – seit mittlerweile 20 Jahren an der Macht ist, die Russische Föderation für die Zeit nach seinem Rückzug aus der Politik fit machen.
Diese wird voraussichtlich 2024 anbrechen, wenn die nunmehrige zweite aufeinanderfolgende Amtszeit der 2012 wiedererlangten Präsidentschaft Putins zu Ende gehen wird.
Ob der dann 72-jährige Putin dann noch einmal eine Rochade wie 2008 im Sinn hat und als Premierminister weitermachen will, ist unklar. Allerdings ist derzeit auch noch kein designierter Nachfolger in Sicht.
Wenn sein Verfassungsprojekt durchgeht, das dem Premier und dem Parlament mehr Macht gibt, würde das Putin zumindest eine Hintertür schaffen, sollte er doch noch einen weiteren Verbleib in der Politik anstreben.
Im Jahr 2018 wurde Putin mit 76,7 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt, dem besten Ergebnis seiner bisherigen vier Kandidaturen. Dieses Ergebnis gab zwar der erheblichen Rückendeckung Ausdruck, die Putin in der russischen Bevölkerung genießt. Gleichzeitig illustrierte das Ergebnis aber auch die gravierenden strukturellen Probleme, ohne die ein solches Ergebnis nicht möglich gewesen wäre.
Erfolgsgeschichte stößt an Grenzen
Die Bevölkerung honorierte Putin für die Entwicklung seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000, als das Land acht Jahrzehnte kommunistischer Diktatur, den Zusammenbruch der Sowjetunion und 1990er Jahre hinter sich hatte, die im Zeichen der Gesetzlosigkeit, des Chaos, des demografischen Niedergangs, des Terrorismus und der Verarmung standen.
Mit eiserner Faust und mithilfe alter Seilschaften aus Geheimdienstzeiten gelang es Putin, Mafiastrukturen und Oligarchen, deren Umtriebe als sozialschädlich aufgefasst wurden, entweder aus dem Verkehr zu ziehen oder der Autorität des staatlichen Hoheitsträgers zu unterwerfen.
Die Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle der Schlüsselindustrien und die Positionierung als wichtiger Rohstoffexporteur nach Westeuropa, die VR China und Zentralasien verschaffte dem Staatshaushalt zumindest kurzfristig Erleichterung.
Zudem veranlasste Putin mithilfe der Milliardenerträge aus dem Erdgasgeschäft groß angelegte öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Transportwege, die während der 1990er Jahre noch ausgeblieben waren.
Die Staatsschuldenquote im Verhältnis zum BIP sank von 135,06 Prozent im Jahr 2000 auf 7,44 Prozent im Jahr 2010 und hat sich seither deutlich unter 20 Prozent eingependelt.
Die 2000er Jahre brachten zudem – auch von öffentlichen Investitionen getriebene – Wachstumsraten von bis zu neun Prozent. Die Arbeitslosenquote, die im Jahr des Amtsantritts Putins bei 13,3 Prozent lag, ist mittlerweile stabil unter fünf Prozent.
Auch außenpolitisch hat Putin Russland – notfalls auch durch brachiales Vorgehen – jene Beachtung zurückerkämpft, die dem Land nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr zugekommen war. Die Abspaltung der Krim und das Eingreifen in Syrien wurde in Russland mehrheitlich als Signal an den Westen aufgefasst, sich vom erweiterten Einflussbereich des Landes fernzuhalten.
Politische Erstarrung wirkt sich auf Investitionsklima aus
Gleichzeitig haben sich im Laufe der 2010er Jahre jedoch auch die Grenzen der Gestaltungsmacht Putins und eines Staatsapparates gezeigt, der mit Verachtung auf westliche Vorstellungen von Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Beschränkung staatlicher Macht blickt und im Kern die öffentliche Lenkung der privaten Initiative vorzieht.
Das politische System in Russland ist weitgehend erstarrt. Die Wahlbeteiligung zu den Duma-Wahlen im Jahr 2016 lag bei 47,9 Prozent – ein Minus von 12 Prozent gegenüber 2011. Im nächsten Jahr stehen wieder Parlamentswahlen an. Sowohl bei den Duma-Wahlen als auch bei jenen zur Präsidentschaft dominierten Akteure, die bereits in den 1990er Jahren die politischen Geschicke des Landes bestimmt hatten.
Dies galt im Übrigen auch für die Opposition – von der Kommunistischen Partei, an deren Spitze seit 1993 Fraktionschef Gennadi Sjuganow steht, über den seit 1991 die Liberaldemokratische Partei anführenden Wladimir Schirinowski bis hin zum liberalen Oppositionskandidaten Grigori Jawlinski, dessen politische Glanzzeiten ebenfalls in die 1990er zurückdatieren.
Ein Generationswechsel fand nicht statt, und neben der systemischen Opposition aus Kommunisten, nationalistischen Liberaldemokraten und sozial-etatistischem „Gerechtem Russland“ scheitern Neugründungen regelmäßig daran, dass sie weder über die finanziellen noch die organisatorischen Ressourcen verfügen, um flächendeckend Strukturen aufzubauen.
Hohe Hürden für einen Wahlantritt und Versammlungsgesetze, die den Behörden breiten Raum geben, um Unruhestiftern wie Alexej Nawalny Steine in den Weg zu legen, lassen auch für das kommende Jahr nicht erwarten, dass das politische System des Landes nennenswerten frischen Wind bekommen wird.
Staatsgläubigkeit als Hauptproblem
Deshalb versucht Putin nun offenbar, die fehlende Dynamik in Politik, Institutionen und Wirtschaft dadurch anzustoßen, dass er dem Parlament zusätzliche Verantwortung überträgt und durch größere Mitsprache in der Besetzung der Regierungsposten dazu bringt, Farbe zu bekennen.
In seiner Rede zur Lage der Nation wurde Putin entsprechend auch deutlich, als er die Stagnation der Wirtschaft auf niedrigem Niveau und die Gefahren einer neuen Armut, die einem fehlenden Wachstum der Löhne folgt, als drängende innenpolitische Probleme ansprach. Mit einem BIP-Wachstum von 1,3 Prozent im Jahr 2019 liegt man zwar etwa auf einer Ebene mit Frankreich und deutlich besser als Deutschland – für ein Schwellenland, das außerhalb der Metropolen immer noch als solches erkennbar ist, ist der Wert allerdings besorgniserregend niedrig.
Ohne private Investitionen, höhere Produktivität und erkennbaren Fortschritten in Bereichen wie Digitalisierung, Infrastruktur, Wohneigentum und Gesundheitsversorgung wird die Stagnation anhalten und schon das nächste Nachgeben des weltweiten Ölpreises könnte für eine handfeste Krise sorgen.
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.
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