
EZB will sich erklären – und auf Bürgerversammlungen mit Betroffenen über die Inflation sprechen
Im Rahmen von Bürgerversammlungen will die Europäische Zentralbank (EZB) der US-amerikanischen Notenbank Fed nacheifern und den Dialog mit dem Bürger pflegen. Diese, so beklagte jüngst Präsidentin Lagarde, würden die Inflation deutlich höher einschätzen als sie sei.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Lagarde will die Niedrigzinspolitik von Draghi weiterführen.
Foto: Stefan Rousseau/dpa
Die Europäische Zentralbank (EZB) will ihre Politik künftig gegenüber den Bürgern erklären. Deshalb will sie eine neue Form der Kommunikation pflegen und sogar in Bürgerversammlungen der Bevölkerung Rede und Antwort stehen. So wolle die Notenbank, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtet, unter anderem unzutreffenden Einschätzungen bezüglich der Inflation im Euroraum gegensteuern.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die im November als Nachfolgerin von Mario Draghi ihr Amt angetreten hat, soll sich diesbezüglich die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve zum Vorbild genommen haben. Diese veranstaltet seit einiger Zeit regelmäßig Bürgerabende unter dem Motto „Fed Listens“. Dort erklärt die Notenbank gegenüber Bürgern ihre Politik und sammelt ihrerseits Einschätzungen, vor allem mit Blick auf Löhne, Arbeitsmarkt und Kaufkrafteinschätzung.
Am 26. März soll die erste Veranstaltung dieser Art in Brüssel stattfinden. In weiterer Folge sollen alle 19 Nationalbanken der Eurozone in ihren Ländern eine eigene Veranstaltung dieser Art abhalten. Nach welchen Kriterien das Publikum ausgesucht werden soll, ist noch nicht im Detail geklärt.
Bürgerversammlungen der EZB sollen Transparenz schaffen
Die Rede ist in der FAZ von „unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen“ von „Kirchenvertretern bis hin zu Studenten“, die zu Wort kommen sollen, wenn die EZB den direkten Kontakt zu den Menschen auf der Straße suchen und von ihnen erfahren wolle, was sie über die Inflation und die Geldpolitik der Notenbank denken. Aber auch Unternehmer oder Rentner sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Einschätzungen über die Geldpolitik der Notenbank abzugeben.
Was den Verantwortlichen in der EZB besonders sauer aufstößt, ist unter anderem, dass die Einschätzung der Bevölkerung bezüglich der Inflation deutlich von den Zahlen abweicht, die offiziell verkündet werden. Lagarde, die zuvor in Frankreich als Finanzministerin tätig war, hatte jüngst erklärt, dass Haushalte die Inflation deutlich höher einschätzten als diese tatsächlich sei.
Dies liege nicht nur an den aus volkswirtschaftlichen Seminaren bekannten Phänomenen wie jenem, dass Preissteigerungen bei Lebensmitteln, die Woche für Woche gekauft werden, sehr schnell von Konsumenten wahrgenommen würden – nicht hingegen der Preisverfall bei Elektrogeräten, die deutlich seltener erworben würden.
Wohnungskosten verändern Wahrnehmung der Inflation
Einige Vorstandsmitglieder und Berater der EZB sind der Auffassung, es wäre vonnöten, im aktuellen Verbraucherpreisindex des europäischen Statistikamts Eurostat auch die Kosten für das Wohnen zu berücksichtigen, um die realen Verhältnisse repräsentativer abzubilden.
Die Bürgerdialoge seien Teil der derzeitigen umfassenden Strategieüberprüfung der EZB, die erkunden soll, auf welchem Weg sich die Notenbank bezüglich ihres Ziels befindet, ihr Inflationsziel von unter zwei Prozent innerhalb der Eurozone zu halten. Deshalb werde auch über bisherige Erkenntnisse und Ergebnisse dieses Checks keine Auskunft gegeben, ehe die Bürgerdialoge abgehalten und ausgewertet worden seien.
Am 29. Juni wird das jährliche Notenbankforum der EZB im portugiesischen Sintra stattfinden. Bis dahin will man mehr Klarheit über die künftige Ausrichtung der eigenen Politik erlangt haben – und über die Art und Weise, wie man diese künftig gegenüber den Bürgern kommunizieren will.
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