
Italien wehrt sich gegen „Clearview AI“
Die Gesichtserkennungplattform Clearview AI will ein globales biometrisches Identifikationssystem schaffen. Italien wehrt sich.

Aus den sozialen Medien greift Clearview AI Millionen, ja sogar Milliarden Bilder von Gesichtern ab.
Foto: iStock
Im März verhängte Italiens Datenschutzbehörde Garante per la Protezione dei Dati Personali (GPDP) eine Geldstrafe in Höhe von 20 Millionen Euro aufgrund von Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), weil das US-Unternehmen Clearview AI mit per „Web Scraping“ extrahierten Gesichtsbildern „eine echte biometrische Überwachung auch von Personen durchgeführt hat, die sich auf italienischem Territorium aufhalten“.
Die staatlichen Untersuchungen wurden aufgrund von Beschwerden und Berichten aufgenommen. Aus ihnen ging hervor, dass die „im Besitz des Unternehmens befindlichen personenbezogenen Daten einschließlich biometrischer und Geolokalisierungsdaten ohne angemessene Rechtsgrundlage“ illegal verarbeitet worden seien.
Clearview AI wurde von der italienischen Behörde dazu aufgefordert, seine Daten über Personen zu löschen, die sich in Italien aufhalten. Zudem wurde der Firma deren weitere Erfassung und Verarbeitung durch sein Gesichtserkennungssystem untersagt.
20 Milliarden Gesichter aus dem Internet
Die New Yorker Tech-Firma beschäftigt sich mit Gesichtserkennung, Überwachungsprogrammen und dergleichen – wobei das „AI“ im Namen für „Artificial Intelligence“ (Künstliche Intelligenz) steht. Auf ihrer Website heißt es zur Mission des Tech-Unternehmens: „Wir unterstützen Strafverfolgungsbehörden und nationale Organisationen bei ihrer Mission, Opfer und Täter zu identifizieren, um ihre Gemeinschaften zu schützen und Industrie und Handel zu sichern.“
Umgesetzt werden soll diese Mission durch eine eigens dafür entwickelte „revolutionäre, webbasierte Intelligence-Plattform“, die auf Gesichtserkennungstechnologie basiere. Diese umfasse die größte bekannte Datenbank mit Gesichtsbildern aus „öffentlich zugänglichen Webquellen“, wie etwa „Nachrichtenmedien, Fahndungsfoto-Websites, öffentliche soziale Medien und andere offene Quellen“ – wozu auch Online-Videos zu zählen sind.
Mittlerweile verfüge laut einer aktuellen Pressemitteilung von Clearview AI die aktuelle Version „Clearview AI 2.0“ über eine „leistungsstarke und zuverlässige Fotoidentifikationstechnologie“, die sich aus einer Datenbank von mehr als 20 Milliarden „öffentlich verfügbaren Gesichtsbildern“ bedient. Hinzu komme einer der weltweit genauesten FRT-Algorithmen (Facial Recognition Technology) zur besseren Unterstützung von Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden. Den Angaben nach sei Clearview AI maßgeblich an der Lösung Tausender Fälle von Ermittlern beteiligt gewesen.
Im jüngsten Facial Recognition Vendor Test (FRVT) der dem US-Handelsministerium unterstehenden Bundesbehörde National Institute of Standards & Technology (NIST) habe das Gesichtserkennungssystem „nahezu fehlerfrei“ abgeschnitten und in allen Kategorien die Nummer 1 belegt. Weltweit gehöre es in allen Kategorien zu den Top Ten. Den Firmenangaben nach habe das „TIME“-Magazin kürzlich Clearview AI zu den „100 einflussreichsten Unternehmen der Welt“ gezählt.
„Verrückt und unglaublich riskant“
Derzeit gehören – der Mitteilung nach – mehr als 3.100 Behörden zum Kundenstamm von Clearview AI in den USA, darunter das FBI, das Heimatschutzministerium und Hunderte lokale Behörden.
Neben Polizeidepartements und Staatsanwaltschaften gehören zu den Kunden der „Gesichtserkenner“ auch US-Universitäten, Telefonkonzerne wie AT&T, Verizon oder T-Mobile sowie Einzelhändler wie Walmart und Warenhauskonzerne wie Macy’s. Gleichfalls Finanzdienstleister wie Wells Fargo oder aber die Bank of America, wie die US-Medienseite „Buzzfeed News“ bereits im Februar 2020 berichtete.
International bedienen sich der Gesichtserkennungsplattform die Londoner Polizei und auch Polizeiorganisationen in Kanada, Neuseeland, Indien, Saudi-Arabien und Australien.
„Buzzfeed“ sprach über Clearview AI und sein „Bestreben, ein globales biometrisches Identifikationssystem zu schaffen“ mit Clare Garvie, Senior Associate am Center on Privacy and Technology an der Georgetown Law School.
Garvie erklärt: „Das ist völlig verrückt. Ich bin aus folgendem Grund beunruhigt: Es gibt keine klare Grenze zwischen dem Zugriff auf dieses unglaublich leistungsstarke und unglaublich riskante Tool und demjenigen, der keinen Zugriff hat. Es gibt keine klare Grenze zwischen Strafverfolgung und Nicht-Strafverfolgung.“
Neuerdings gehört auch das Verteidigungsministerium der Ukraine zum Kundenstamm des Tech-Unternehmens. Laut Clearview AI-Vorstandschef Hoan Ton-That gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters wird das Programm eingesetzt, um „russische Angreifer aufzudecken, Fehlinformationen zu bekämpfen und die Toten zu identifizieren“. Dem Bericht nach verfüge Clearview AI auch über 2 Milliarden Bilder aus der russischen Social-Media-Anwendung VK.
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