Nur für „3G“-Menschen: Österreichs Tag 1 der Öffnung - Buh-Rufe für Kanzler Kurz im „Schweizerhaus“
Österreich öffnet die Gastronomie nach mehr als sechs Monaten Dauer-Lockdown – doch nicht für alle Menschen. Bundeskanzler Kurz bekam beim Besuch des berühmten „Schweizerhauses“ in Wien für seine Politik keinen Jubel.
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Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) beim Medienstatement vor ihrem Mittagessen im Garten des Restaurants „Schweizerhaus“ im Prater-Vergnügungspark in Wien am 19. Mai 2021. – Bürger mit Covid-19-Zertifikaten konnten ab diesem Tag wieder Restaurants und Cafés besuchen, die mehr als ein halbes Jahr lang aufgrund von Corona-Maßnahmen der Regierung gesperrt waren. Foto: Joe Klamar/AFP via Getty Images
Österreich öffnet die Gastronomie nach 197 Tagen Abstinenz. Seit Mittwoch, 19. Mai, 5 Uhr, sind Restaurants und Cafés, Bars und Hotels sowie weitere Kultureinrichtungen wieder geöffnet. Allerdings nicht für alle Menschen, nur für die „3Gs“ – Genesene, Gesundete und Geimpfte. Für die anderen Menschen heißt es weiterhin: Von draußen zuschauen.
Auch das „Schweizerhaus“ in Wien hatte geöffnet und erhielt am Eröffnungstag hohen Besuch. Das über 100 Jahre alte traditionsreiche Gasthaus am Wiener Prater mit großem Biergarten wurde von niemand anderem als von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) besucht.
Begleitet wurden die hohen Gäste von einer Polizeieskorte in Uniform und in Zivil. Allerdings verlief der Besuch „nicht ganz so publikumswirksam wie erhofft“, berichtet der regionale Kabel-TV-Sender „Wien24“.
Von links nach rechts: Österreichs Tourismusministerin Elisabeth Köstinger und Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) sowie Vizekanzler Werner Kogler und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (beide Grüne) beim Pressestatement im „Schweizerhaus“ in Wien am Tag der Wiedereröffnung der Gastronomie am 19. Mai 2021 nach 197 Tagen Zwangsschließung aufgrund von Corona-Maßnahmen der Regierung.
Foto: Joe Klamar/AFP via Getty Images
Pfiffe und Buhrufe
Statt Jubelrufen und Dankesworten für die Öffnung der Lokalitäten für einen Teil der Bürger begleiteten den Regierungschef der Alpenrepublik und seine Abordnung an diesem Nachmittag laute Buhrufe und ein Pfeifkonzert. Ob es der Aufruf der FPÖ war, Kanzler Kurz im „Schweizerhaus“ zu empfangen oder ob es sich um spontane Bekundungen der Besucher des Biergartens handelte, kann nicht ohne Weiteres geklärt werden.
Vom jubelnden Volk war allerdings kaum etwas zu sehen, wie ein Video zeigt, das der Wiener FPÖ-Politiker und Stadtrat Dominik Nepp auf Twitter hochgeladen hatte. Allerdings wurde Kanzler Kurz nicht „vom gesamten Schweizerhaus ausgepfiffen“, wie Nepp im Videotext angab.
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Manche schienen betreten von der Situation, andere schmunzelten wieder still vor sich hin und es gab auch Leute, die Fotos machten und den Kanzler begrüßten.
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Nepp hatte zuvor auf eine Pressemitteilung des Ministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus hingewiesen, das den Besuch der Regierungsspitze auch als „Fotomöglichkeit mit Kurz, Kogler, Köstinger und Mayer vor Ort“ angekündigt hatte. Die Regierungsspitze treffe sich hier zum gemeinsamen Mittagessen, um „den ersten Öffnungstag für die heimische Gastronomie einzuläuten“, hieß es.
Nepp hatte seinerseits den Link mit einem Hinweis gepostet: „Falls jemand @sebastiankurz und seiner Regierung für Eintrittstests, Maskenpflicht und Dauerlockdown “danken” möchte. Heute wäre eine gute Gelegenheit dazu!“
Kurz: „Tag der Freude“
Kurz sprach vor der Presse von einem „Tag der Freude“ und von 150.000 Menschen, die jetzt wieder in Beschäftigung kämen. Auch im „Schweizerhaus“ freuten sich die Mitarbeiter, endlich wieder ihren Jobs nachgehen zu dürfen. Hier wurde der Besuch von Kanzler Kurz hoffnungsvoll und freudig aufgenommen. In der Küche wurden Selfies gemacht.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz posiert für ein Selfie-Foto mit Küchenchefs des Restaurants „Schweizerhaus“. Hier war Kurz mit einer Delegation zum Mittagessen am Tag der Gastro-Öffnung am 19. Mai 2021 nach mehr als sechs Monaten Dauerlockdown. Fot: Joe Klamar/AFP via Getty Images
Kanzler Kurz freute sich über die sinkenden Corona-Inzidenzzahlen, niedriger sogar, als die Experten prognostiziert hätten. Gleichzeitig freute sich der Kanzler über die angestiegenen Zahlen von Geimpften – 3 Millionen sollen es aktuell sein.
„Daher können wir guten Gewissens heute öffnen. Ich sehe strahlende Gesichter bei den Zuständigen für Kultur, Sport, aber auch Tourismus und Gastronomie. Es ist ein Tag der Freude nach einer monatelangen Durststrecke“, sagte Sebastian Kurz und ermahnte die Menschen zugleich, mit einer „gewissen Vorsicht“ vorzugehen und nicht übermütig zu werden.
Und die Nichtgeimpften?
„Je mehr Menschen sich an die Regeln halten – getestet, geimpft oder genesen – desto eher funktionieren auch diese Öffnungsschritte“, erklärte der Kanzler den Umstehenden und der Presse.
Als Kurz danach gefragt wurde, was mit den Nichtgeimpften sei, zeigte sich der Kanzler bewusst antwortbereit:
Zunächst erklärte er, dass man in Österreich keine Impfpflicht habe. Niemand müsse Panik haben oder sich Sorgen machen. „Jeder habe die Möglichkeit, frei zu entscheiden.“
Er gebe aber zu, dass er froh sei, dass sich viele Menschen impfen lassen wollen, was dazu führe, dass sie auch persönlich geschützt seien.
Kurz spricht von „No-Covid“
„Wir haben nicht nur die Herausforderung, dass Menschen erkranken können, teilweise schwer erkranken können, wenn sie sich anstecken. Auch ‚No-Covid‘ ist mehr und mehr ein Thema“, sagte der Kanzler. Zudem sei es ein schwieriges Abwägen zwischen Gesundheitsschutz und den Grund- und Freiheitsrechten.
Das deutsche „Ärzteblatt“ schreibt über die „No-Covid“-Strategie: Es sei eine Gruppe von Wissenschaftlern, Medizinern und Ökonomen, die einen Strategiewechsel angeregt hätten. „Anstatt weiterhin auf Mitigation (Anm. d. Red.: Folgenminderung) zu setzen, plädieren die Experten für die Umsetzung eines NO-COVID-Ziels sowie die Einführung von ‚Grünen Zonen‘, in denen dann Lockerungen möglich wären.“
Die Strategie bestehe aus drei Kernelementen: „einem schnellen Absenken der Infektionszahlen auf null (Anm. d. Red.: andere Quellen sprechen von unter 10), die Vermeidung der Wiedereintragung in hierdurch errichtete Grüne Zonen durch lokale Mobilitätskontrollen, Tests und Quarantänen und ein rigoroses Ausbruchsmanagement bei sporadischem Auftreten neuer Fälle“.
Nicht zu verwechseln ist diese Strategie mit der „Zero-Covid“-Strategie, die einen von Vermögenden durch eine Covid-Solidaritätsabgabe finanzierten Dauerlockdown mit Arbeitsverbot bis zum Erreichen der Null-Inzidenz vorsieht. Diese wird in den Medien allerdings selbst aus dem linken Lager als „halbtotalitäre Fantasie“ (TAZ) bezeichnet oder als „autoritäre Dystopie“ (Telepolis).
Möglicherweise sind die Unterschiede zwischen „No-Covid“ und „Zero-Covid“ im Grunde nur marginal ideologisch. Die „Welt“ berichtete im Februar in einem Essay von Parallelen zwischen diesen beiden Bestrebungen in der Corona-Politik und dem Stachanow-Kult in der ehemaligen Sowjetunion der 1930er-Jahre.