In Brüssel wächst die Sorge über ein Notstandgesetz, das die ungarische Regierung im Zusammenhang mit der Corona-Krise auf den Weg gebracht hat. Der Gesetzesentwurf und die Bedenken darüber seien bei der wöchentlichen Sitzung der EU-Kommission am Mittwoch (25.3.) zur Sprache gekommen, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde. Die Kommission verfolge die Situation in Ungarn sehr genau. Sie hatte schon zuvor gefordert: Notfallmaßnahmen müssten stets verhältnismäßig sein.
Die Regierung in Budapest hatte am Freitag einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der es Ministerpräsident Viktor Orbán ermöglichen würde, im Rahmen eines Notstandes von womöglich unbegrenzter Dauer per Dekret zu regieren. Für Beunruhigung sorgt unter anderem eine Klausel, die die Möglichkeit einer „erzwungenen parlamentarischen Pause“ vorsieht.
Kritik aus dem EU-Parlament
Aus dem EU-Parlament kam scharfe Kritik. „Es ist vollkommen offensichtlich, dass ein entschlossenes und weit reichendes Krisenmanagement keineswegs die Ausschaltung des Parlaments erfordert“, erklärte der österreichische EU-Abgeordnete Otmar Karas.
Orbán wolle die derzeitige Krise nutzen, um „der liberalen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit schweren Schaden zuzufügen“. Das sei „zynisch und skrupellos“, sagte Karas, der als Konservativer derselben Parteienfamilie wie Orbán angehört.
Laut der oppositionellen Zeitschrift
„Népszava“ fordern 88 EU-Parlamentsmitglieder in einem Schreiben, dass der Europarat dem Ermächtigungsgesetz in Ungarn entgegenwirken soll. „Wir fordern den Europarat auf, einen Dialog mit der ungarischen Regierung zu führen, damit das Ermächtigungsgesetz mit den demokratischen Prinzipien und der Rechtsstaatlichkeit in Einklang gebracht wird“, heißt es in dem Brief, den die tschechische EU-Abgeordnete Radka Maxová formuliert hat.
Nach Angaben der ungarischen Zeitschrift waren die meisten Unterzeichner aus liberalen oder grünen Parteien, darunter auch welche aus sozialistischen oder linksradikalen Gruppen.
Generalsekretärin besorgt über die Gefährdung der Demokratie
Auch die Generalsekretärin des Europarates Marija Pejčinović Burić beäugt die neuesten Entwicklungen in Ungarn mit zunehmender Sorge.
In einem Brief, direkt an den ungarischen Premier adressiert, betont Burić, dass die Mitgliedstaaten des Europarates „legitimerweise“ drastische Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen können und diese die individuellen Rechte und Freiheiten der Bürger einschränken, aber „die Maßnahmen, welche die Mitgliedstaaten unter den gegenwärtigen außergewöhnlichen Umständen der Pandemie ergreifen, müssen sowohl den nationalen Verfassungen als auch den internationalen Standards entsprechen und das Wesen der demokratischen Prinzipien beachten“.
Die Generalsekretärin sieht sogar die Grundprinzipien der Demokratie bedroht: „Ein unbefristeter und unkontrollierter Ausnahmezustand kann nicht garantieren, dass die Grundprinzipien der Demokratie eingehalten werden und dass die Notfallmaßnahmen – die die grundlegenden Menschenrechte einschränken – in einem strengen Verhältnis zu der Bedrohung stehen, der sie entgegenwirken sollen.“
Im letzten Abschnitt des Briefes stellt Burić klar, dass die Grundwerte respektiert werden sollen: „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte: Der Europarat ist nach wie vor bereit, die Mitgliedsstaaten in diesem Bemühen zu unterstützen, unter anderem durch die Bereitstellung von Fachwissen und Unterstützung, die nützlich sein können. Ich fordere die ungarischen Regierungsstellen auf, diese Gelegenheit zu nutzen.“
Antwortbrief von Premierminister Orbán
Premierminister Viktor Orbán
antwortete auf den Brief der Generalsekretärin mit den Worten: „Bitte seien Sie so freundlich und studieren Sie den genauen Text des Gesetzes des ungarischen Parlaments. Ich möchte Sie auch dringend bitten, die entsprechende Rechtsprechung auch in anderen Staaten zu prüfen. Wenn Sie uns in der gegenwärtigen Krise nicht helfen können, dann bitte ich Sie, unsere Bemühungen zum Schutz zumindest nicht zu behindern.“