Finanzamt unter Druck
Grundsteuer: Nach Einspruchswelle die Klagewelle? Erste Klage läuft in NRW
Weiter Ärger um die Grundsteuer: Nicht nur, dass bundesweit im Moment mehr als drei Millionen Einsprüche gegen den versandten Steuerbescheid bei den Finanzämtern bearbeitet werden müssen – in Nordrhein-Westfalen ist nun auch die erste Klage anhängig. Droht nun eine Klagewelle?

Doppelhäuser einer Neubausiedlung. In vielen Bundesländern droht eine Klagewelle gegen den Fiskus wegen der neuen Berechnung der Grundsteuer.
Foto: Henning Kaiser/dpa
Mitte Juni fragte das „Handelsblatt“ bei den 16 Landesfinanzministerien an. Das Wirtschaftsblatt wollte wissen, wie viele Einsprüche gegen die ergangenen Grundsteuerbescheide vorliegen: Mehr als drei Millionen Steuerzahler haben bislang Einspruch gegen ihre Grundsteuerbescheide eingelegt, in manchen Bundesländern teils mehr als jeder sechste, ergab die Anfrage.
Finanzbeamte aus anderen Bereichen abgezogen
Um diese Einsprüche nun bearbeiten zu können, werden Finanzbeamte immer wieder aus anderen Abteilungen abgezogen. Manches Finanzamt ist inzwischen mit der Bearbeitung völlig lahmgelegt. „Wenn Finanzbeamte für die lächerliche Bearbeitung der Grundsteuer abgezogen werden, fehlen sie an anderen Stellen“, sagte der Chef der Steuergewerkschaft damals dem „Handelsblatt“. „Und das geht zulasten der Staatseinnahmen, der Steuergerechtigkeit und fairer Wettbewerbsbedingungen.“
Im Jahr 2019 verabschiedete die Große Koalition eine Reform der Grundsteuer, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Steuer zuvor aufgrund veralteter Bewertungsmaßstäbe als verfassungswidrig eingestuft hatte. Aus diesem Grund waren alle Immobilienbesitzer verpflichtet, bis Ende Januar dieses Jahres eine neue Grundsteuererklärung einzureichen. Laut Angaben des Bundesfinanzministeriums sind bis Ende Mai landesweit fast 90 Prozent der insgesamt etwa 36 Millionen Grundsteuererklärungen bei den Finanzämtern eingegangen.
Allerdings sind viele Steuerzahler von ihren Steuerbescheiden verwirrt und gehen auf Anraten von Experten und Steuerberatern gegen ihre Bescheide vor. In Bremen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben bisher elf Prozent aller Steuerzahler Einspruch eingelegt, während es in Rheinland-Pfalz 13,6 Prozent und in Berlin sogar 18 Prozent aller Steuerzahler sind.
Gutachten hält Bundesmodell für verfassungswidrig
Im April kam ein vom Bund der Steuerzahler und dem Eigentümerverband Grund & Boden in Auftrag gegebenes Gutachten vom Verfassungsrechtler Professor Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg zum Schluss, dass das Grundsteuergesetz des Bundes verfassungswidrig ist. Das als problematisch angesehene Bundesmodell wird in elf Bundesländern angewendet. Lediglich die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben sich für eigene Grundsteuermodelle entschieden.
Schon damals kündigten die beiden Verbände an, mit Musterklagen in fünf Bundesländern vor Gericht zu ziehen – in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und zwei in Nordrhein-Westfalen. Die Hoffnung ist groß, möglichst rasch beim Bundesfinanzhof oder beim Bundesverfassungsgericht damit zu landen. In Nordrhein-Westfalen ist nun scheinbar die erste Klage gegen einen Festsetzungsbescheid auf den Weg gebracht.
Einsprüche in NRW einen Höchststand erreicht
Die Anzahl der Einsprüche gegen bereits erlassene Grundsteuerbescheide haben in NRW einen neuen Höchststand erreicht. Bis Ende Mai sind bislang 714.000 Einsprüche bei den Finanzämtern im Bundesland eingegangen. Seit Ende des ersten Quartals 3023 habe sich die Zahl damit fast verdoppelt. Die Informationen stammen aus der Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage der FDP-Landtagsfraktion. NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) schreibt in seiner Antwort auch von einer Klage.
FDP-Fraktionsvize Ralf Witzel rechnet letztlich sogar mit rund einer Million Einsprüchen. „Dieses Chaos hilft niemandem und gefährdet Steuergerechtigkeit in anderen wichtigeren Bereichen der Finanzverwaltung, wenn das Personal sich fast nur noch um den Grundsteuerstreit kümmern kann“, sagte er gegenüber der „WAZ“.
Ohne Kursänderung folgt Klagewelle
Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft hatte im August letzten Jahres gegenüber dem „Tagesspiegel“ den durch die Reform der Grundsteuer erzeugten Arbeitsaufwand in den Finanzämtern als „unerträglich“ bezeichnet. Wie die „WAZ“ schreibt, rechnen Kritiker der Grundsteuerregelung damit, dass nun eine Klagewelle auf die Bundesländer zurollen könnte. „Ohne eine Kursänderung der Regierung wird der Protestwelle in den Finanzämtern bald eine Klagewelle vor Gericht folgen“, so der FDP-Landtagsabgeordnete Witzel. Er warnt vor einem Zusammenbruch der Finanzverwaltung.
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