Rebecca Sommer: Herr Dirk Andresen, Sie sind einer der Sprecher auf der Kundgebung des Bauernprotestes in Berlin und vertreten Land schafft Verbindung-Deutschland. Könnten Sie ausführen, worum es hierbei geht?
Dirk Andresen: Ich glaube, den Demonstranten geht es im Wesentlichen darum, dass wir die Wertschöpfung in der deutschen Landwirtschaft wieder bezahlt bekommen. Wir haben das Problem, dass Gesetze gemacht werden, ohne die Meinung und Expertise der Landwirte zu befragen oder diese in Entscheidungen miteinzubeziehen.
Der Insektenschutz beispielsweise wird nicht mit den Bauern besprochen, dennoch werden Gesetze beschlossen, wie eine Pflanzenschutzanwendungsverordnung, die massivst in die Wertschöpfung eingreifen. Das ist schlicht eine kalte Enteignung und führt zu dem Problem, dass die Landwirtschaft regional in Deutschland abgeschafft wird und wir Lebensmittel aus dem Ausland importieren.
Obst und Gemüse werden zu 70 Prozent inzwischen aus anderen Ländern importiert und wir haben das Problem, dass die Standards, die in anderen Ländern gelten, bei uns im Grunde genommen schon nicht mehr angewendet werden dürfen. Wir haben eine Ernährung, die wir nicht mehr aus dem eigenen Land sicherstellen, sondern das Problem, dass Standards importiert werden, die wir gar nicht haben wollen und die letztendlich doch auf unserem Teller landen.
Sommer: Ist da die Politik nicht verlogen? Die wissen doch, dass in der EU unterschiedliche Standards herrschen. Als deutscher Verbraucher denkt man, dass die EU-Standards überall die gleichen sind, aber das scheint ja nicht der Fall zu sein. Könnten Sie das noch einmal ausführen?
Andresen: Der deutsche Verbraucher weiß häufig gar nicht, was er auf dem Teller hat. Wir in Deutschland haben das natürlich im Griff. Wir werden kontrolliert, wir haben Pflanzenschutzmittel, die wir anwenden dürfen. Dazu gibt es eben auch Gesetze. Nur werden die Gesetze so gemacht, dass das Produkt schlicht zu teuer wird, um es in Deutschland zu produzieren. Speziell Obst und Gemüse werden zu 70 Prozent importiert.
Wir haben bald den Punkt erreicht, wo wir als Landwirte letztendlich nur noch Naturschutz betreiben, aber keine Nahrungsmittel mehr liefern. Die wesentliche Aufgabe eines Bauern ist aber, für die Ernährung der Gesellschaft zu sorgen. Das muss auch wertgeschätzt werden.
Unsere Wertschöpfung hier in Deutschland leidet darunter, dass z.B. Gesetze erlassen werden, die vom Bundesumweltministerium kommentiert werden. Diese Gesetze führen dazu, dass ein Landwirtschaftsministerium sich zum Teil gar nicht mehr gegenüber einem Herrn Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium oder gegenüber einer Frau Schulze durchsetzen kann.
Der gesamtgesellschaftliche Protest, der auch bei den NGOs organisiert ist, hat ja immer den “bösen Bauern” im Hinterkopf. Dieser “böse Bauer”, der sind wir nicht. Es geht hier nicht um Biene oder Bauer. Es geht darum, dass beide eine Existenzberechtigung in Deutschland brauchen.
Sommer: Nun ist es ja so, dass die Politiker immer dann, wenn es ungemütlich wird, auf die EU zeigen. “Die EU will” … “wir von der EU möchten” … “wir werden gefordert” … “es gibt EU-Gesetze, die wir jetzt implementieren müssen”… Es ist aber so, dass die EU die Gesetze von allen Ländern entwickelt, diese kommen aber eigentlich vom UN-System.
Bei den Demonstranten hier bemerkt man aber, dass sehr vielen die EU-Gesetze gar nicht bekannt waren, die jetzt aber nach und nach auf die Bauern zukommen. Wer ist eigentlich vonseiten der Bauern dafür zuständig, EU-Verhandlungen zu führen und dann an die Basis weiterzuleiten? So dass die Basis weiß was ist dort im Kasten für uns und nicht erst reagieren und mit ihren Trekken nach Berlin rollen müssen wenn die Fakten schon längst in der EU geschaffen worden sind und hier angepasst werden. Wer führ im Namen der Bauern auf EU Ebene die Verhandlungen? Was könnte anders gemacht werden, um beispielsweise bestimmte Gesetze und Regeln wieder zurück zu rollen, wenn diese keinen Sinn ergeben?
Andresen: Ganz wichtig ist zum einen ein starkes Landwirtschaftsministerium, das uns in der EU bzw. in Brüssel vertritt. Frau Klöckner ist heute in Brüssel und führt dort Verhandlungen zur GAP (Gemeinsame Agrarpolitik). Zum anderen gibt es den Bauernverband, der unser eigentlicher Verband ist. Er gibt Strukturen vor, hat aber eben auch Probleme.
Das ist der Grund, weshalb es den LsV gibt. [Eine Basisbewegung von unabhängigen Landwirten, die sich selbst organisieren]. Diesen gibt es seit 2019, er hat innerhalb kürzester Zeit sehr viele Menschen aktiviert. Der LsV hat Strukturen aufgebaut, die wahrgenommen werden. Im Gegensatz dazu wurde der Bauernverband nicht mehr wahrgenommen und durch ihn konnte die Öffentlichkeit den Bauern auch nicht verstehen.
Wir erleben immer mehr, dass auch die Medien auf uns aufmerksam werden und mit uns Gespräche führen. Wir vertreten in diesen Gesprächen die Bauern. Das ist ein ganz wichtiger Schritt der Öffentlichkeitsarbeit, die Transparenz in allen Prozessen schafft und vor allem aufzeigt, woher unsere Nahrungsmittel kommen. Das große Problem der letzten Jahre war ja, dass wir keine Öffentlichkeitsarbeit hatten. Es gab mal eine CMA, die unsere Produkte verkauft bzw. beworben hat. Die gibt es nicht mehr.
Sommer: Was bedeutet CMA?
Andresen: Die CMA war eine Werbeplattform die Produkte beworben hat. Zum Beispiel wurde Fleisch als ein Stück Lebenskraft beworben und so weiter.
Sommer: Die CMA entstand durch den Bauernverband oder von woher kam die?
Andresen: Die wurde von den Bauern mit bezahlt und auch getragen. Sie wurde wegen eines rechtlichen Problems schließlich abgeschafft. Wer nicht wirbt, der stirbt. Und die Landwirtschaft wirbt jetzt eben nicht mehr.
Sommer: Aus dem Bauernverband steigen im Moment sehr viele Menschen aus. Wir haben sehr viele Landwirte hier befragt, und sehr viele sind aus dem Verband ausgetreten. Es werden Töne laut, dass der Bauernverband nur die ganz Großen, die Industriellen, die Globalisierung vertrete, aber nicht mehr die kleinen Generations-Höfe.
Andresen: Ja, wir brauchen einen starken Verband, der hier in Berlin auch unsere Meinung vertritt. Wir als LsV sind alle ehrenamtlich engagiert, das darf man nicht vergessen. Wenn wir hier eine neue Struktur aufbauen sollen, dann brauchen wir auch eine Finanzierung. Wir stehen kurz davor eine Struktur aufzubauen, die vielleicht auch eine Finanzierung mitbringt.
Ein Verband, der sich hier in Berlin auch für die Bauern einsetzt, ist wichtig – die politischen Rahmenbedingungen werden schließlich in Berlin gesetzt. Wenn wir uns hier nicht dauerhaft an den politischen Gesprächen beteiligen, wird letztendlich über statt mit uns gehandelt, und das ist nicht gut.
Sommer: Es sind hier unterschiedliche Vereine und Verbände anwesend, auch viele, die nicht institutionalisiert sind, wie z.B. die Landvolk-Bewegung mit der schwarz rot weissen Fahne aus den 20iger Jahren. Wir haben also hier einen kunterbunten Verbund an verschiedenen Verbänden oder auch nichtinstitutionalisierte Bauern die alle nach Berlin gekommen sind. Wie das bei Menschen so üblich ist, gibt es natürlich interne Schwierigkeiten. Dennoch haben jetzt anscheinend alle zusammengefunden.Wollen sie darauf eingehen, denn es gab im Vorfeld Probleme. Auch hatte der Bauernverband klar gesagt, dass er nicht Teil der Proteste sei. Können Sie nochmal darauf eingehen, wer denn jetzt dabei ist?
Andresen: Grundsätzlich kann man sagen, es eint uns die Sache. Alle, die heute hier sind, kämpfen für dieselbe Sache. Wir wollen ein Gesetz, das uns nicht belastet, sondern anerkennt, dass es Insektenschutz nur zusammen mit der Landwirtschaft gibt. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, das wir heute gemeinsam setzen und deswegen stehen wir alle hier zusammen.
Zur Autorin: Rebecca Sommer ist eine internationale, seit 2012 in Berlin sesshafte deutsche Menschen- und Völkerrechtsadvokatin. Bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland 2012 engagierte sie sich mit ihrem speziellen beratenden ECOSOC-Status sowohl bei den Vereinten Nationen im New Yorker UN-Hauptquartier in Genf und weltweit für Menschenrechte mit speziellem Fokus auf Indigene Völker und Völkerrecht.
(Bearbeitung: as)