Neubewertung der China-Politik dringend nötig: Peking spielt deutsche Unternehmen und Bundesländer gegen Berlin aus
China nutzt die Schwachstellen der dezentralen politischen Struktur Deutschlands aus, so der Bericht einer britischen Denkfabrik. Dazu umgeht es Berlin und spricht direkt mit den regionalen Verantwortlichen. Peking will erreichen, dass Europa bei der Beschränkung des globalen Handlungsspielraums Chinas keine gemeinsame Sache mit den USA macht. Ähnlich handelt Russland.
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Vor dem Reichstagsgebäude des Deutschen Bundestages in Berlin.
Deutschland befindet sich an der Frontlinie eines „neuen Kalten Krieges“ des Westens gegen chinesische und russische Einflüsse, schreibt eine führende Denkfabrik aus Großbritannien.
Während Russland versucht habe, das Vertrauen der Öffentlichkeit in demokratische Institutionen zu untergraben, konzentriere sich China vor allem auf Deutschlands wirtschaftliche Vermögenswerte. Das Royal United Services Institute (RUSI), eine in London ansässige Denkfabrik, hat sich auf Studien zur Verteidigung und Sicherheit spezialisiert.
Die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China führe zu wachsender Besorgnis in Berlin. Das Verhalten des chinesischen Regimes während der Corona-Pandemie beschleunige den Wandel in der deutschen Wahrnehmung der bilateralen Beziehungen, so die Autoren der Studie. Sie stellen fest:
Sowohl China als auch Russland nutzen die Schwachstellen der dezentralen politischen Struktur Deutschlands aus und umgingen häufig die Regierung in Berlin – um direkt Einfluss auf regionale Regierungen auszuüben.
Wahrnehmung der chinesischen Politik und Wirtschaft hat sich verändert
Obwohl viele deutsche Unternehmer nach wie vor äußerst zurückhaltend mit Kritik am chinesischen Regime sind, werden die gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen von vielen in Wirtschaft und Politik neu bewertet.
Insbesondere eine Reihe chinesischer Übernahmen mittelständischer Unternehmen, wie zum Beispiel des führenden Roboterherstellers Kuka, haben zu einer Verschiebung der Position und der Wahrnehmung Chinas geführt.
„Während der Exportmarkt stark blieb, wurde China zunehmend eher als Rivale als eine endlose Chance gesehen“, so der RUSI-Bericht.
Ein Roboter serviert Bier am Stand von Kuka auf der Hannover Messe in Hannover am 24. April 2017.
Foto: Tobias Schwarz/AFP über Getty Images
Auch das Verhalten des Regimes während der Corona-Krise löste Misstrauen in Deutschland aus. Das chinesische Regime versuchte, die deutsche öffentliche Meinung über den Ursprung des Virus zu beeinflussen – indem es probierte, deutsche Beamte unter Druck zu setzen, damit sie öffentlich den Umgang Pekings mit COVID-19 lobten.
Die zunehmende Kriegslust Chinas, die sich während der Pandemie zeigte, habe „die deutsche Meinung entschlossener auf die Nachteile neben den Vorteilen ihrer Geschäftsbeziehung zu China gelenkt“, so der Bericht.
Deutschlands China-Politik ist nicht einheitlich
Die EU-Politik gegenüber China wird durch die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Washington und Peking auf der einen Seite und zwischen Trump und Merkel auf der anderen Seite erschwert. Merkel habe sich im Allgemeinen wachsam gegenüber den Bedrohungen gezeigt, die von autoritären Staaten ausgehen, so der Bericht.
„Während sie klar erkennen kann, was in China in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen geschieht – von der Einführung des Sozialkreditsystems, das auf der Überwachung großer Datenmengen beruht, über die Aushöhlung der begrenzten Freiheiten Hongkongs bis hin zum scharfen Vorgehen gegen die uigurische Gemeinschaft in Xinjiang – bemüht sie sich konsequent um einen Ausgleich zwischen Besorgnis-Bekundungen und Geschäftsinteressen.“
Die China-Politik Deutschlands ist nicht einheitlich. Während die Bundeskanzlerin bei ihrer jüngsten China-Reise weder Hongkong noch Xinjiang in der Öffentlichkeit zur Sprache bringt, trifft sich wenige Tage darauf Außenminister Heiko Maas in Berlin mit Joshua Wong, einem der Anführer der Hongkonger pro-demokratischen Bewegung.
„Die Unterschiede in der Herangehensweise in Deutschland sind zum Teil gewollt, aber sie spiegeln auch unterschiedliche Auffassungen der verschiedenen Regierungsstellen in der Koalition wider“, analysiert der Bericht.
Gemeinsame Strategie bezüglich China scheitert an Spaltung Europas
Der Bericht, der von John Kampfner, einem leitenden Mitarbeiter von RUSI, verfasst wurde, ist Teil einer Reihe von Analysen über russische und chinesische Aktivitäten in Europa. In ihrer Einführung zu dieser Reihe analysierte RUSI-Generaldirektorin Dr. Karin von Hippel die strategischen Ziele Chinas. Zu ihren Ergebnissen gehören diese Punkte:
1. Das chinesische Regime will sicherstellen, dass Europa bei der Beschränkung des globalen Handlungsspielraums Chinas keine gemeinsame Sache mit den Vereinigten Staaten macht. Jegliche europäische Kritik an Chinas Menschenrechtsbilanz soll abgewehrt werden.
2. Gespaltene Meinungen innerhalb Europas hätten den Westen daran gehindert, eine einheitliche Strategie und Antwort zu finden. Beispielsweise haben Chinas engere europäische Freunde, insbesondere Griechenland, Ungarn und Portugal, die EU-Politik gegenüber China wiederholt blockiert.
3. Aber die Pandemie habe „die Lernkurve beschleunigt und die wachsende Besorgnis über China verstärkt.“ Dr. von Hippel weiter: „Viele Länder erkennen jetzt, wie übermäßig abhängig sie bei wichtigen Gütern von China waren – oft zu ihrem Nachteil.“
„Die Beteiligung Russlands und Chinas an der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft Deutschlands und ihre mögliche Infiltration ist eine Bedrohung nicht nur für die größte Volkswirtschaft Europas, sondern auch für den Kontinent selbst und für weitere westliche demokratische Institutionen“, schloss der Bericht.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, David-Maria Sassoli (links), steht neben Jewher Ilham, der Tochter des uigurischen Ökonomen und Menschenrechtsaktivisten Ilham Tohti. Ilham hält ein Porträt ihres Vaters während der Verleihungszeremonie für den Sacharow-Preis der EU hoch. Die Zeremonie fand am 18. Dezember 2019 im Europäischen Parlament in Straßburg statt.
Foto: FREDERICK FLORIN/AFP über Getty Images
Neubewertung der deutschen China-Politik dringend nötig
Die Herausforderungen, welche China und Russland an Deutschland stellten, waren bereits vor der Corona-Pandemie offensichtlich, analysiert die Denkfabrik. Diese wurden in den vergangenen Monaten sogar noch deutlicher. „Die weitere Verschlechterung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen hat sich auf Deutschland besonders destabilisierend ausgewirkt“, so RUSI. Und weiter:
„Die politischen Entscheidungsträger sind sich einig, dass eine der dringendsten Aufgaben des/der bald gewählten Kanzlerkandidaten/in für die Nachfolge Angela Merkels eine Neubewertung der Verwundbarkeit Deutschlands gegenüber Russland und China sein wird.“
Die Beziehungen zwischen Deutschland und China hätten beim EU-China-Gipfel eine neue Gestalt bekommen sollen. Er hätte eine unverwechselbare und koordinierte europäische Vision für die Beziehungen zu China bekräftigen sollen, so der Bericht weiter. Die Absage des Gipfels war ein „Schlag“ für die Bundeskanzlerin, „die gehofft hatte, dass er den Mittelpunkt der sechsmonatigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft bilden würde“.