Nicht gelebte Demokratie: Meißen leidet an einem "Meinungsbildungs-Paradoxon”
Befragt man die Öffentlichkeit im Vorab zu einem bestimmten Vorhaben, könnte es passieren, dass diese etwas ganz anderes will als die Regierenden. Aus diesem Grunde fragt man besser gar nicht erst. Der Verwaltungs- und Rechtswissenschaftler Dr. Johannes Zeller erklärt am Beispiel der Lokalpolitik einer sächsischen Stadt, wie eine gemeinsame Meinungsbildungs- und Diskussionspolitik nicht mehr wahrgenommen wird.

Meißen Foto: MATTHIAS HIEKEL/AFP/Getty Images
Foto: MATTHIAS HIEKEL/AFP/Getty Images
Diesen Widerspruch kann man als „nachgeholte Vor-Diskussion“ bezeichnen, d.h., die Reflexion auf Beschlüsse des Stadtrates erfolgt nicht vor der Beschlussfassung, sondern immer erst danach, wobei sich dann an dieser aufflammenden, jedoch schnell vergehenden Diskussion auch die Akteure beteiligen, die sich hätten im Vorfeld im Prozess der politischen Responsibilität mit den herrschenden Mindermeinungen befassen müssen, satzungsgemäß und gesetzesgemäß.
Es handelt sich dabei nämlich um Stadträte, Vorstandsmitglieder der Parteien, Parteimitglieder und um die sogenannte Bürgergesellschaft, häufig um Multifunktionäre, die in ihrer Person alles vereinen. Schätzungsweise gibt es in Meißen davon deutlich unter hundert. Dafür treffen diese sich jedoch gewollt oder ungewollt bei allen Gelegenheiten, bleiben jedoch unter sich. Häufig wird die Kritik, um diese handelt es sich nämlich fast immer, in der Lokalpresse, öffentlich im Internet auf Facebook oder parteiintern in gesperrten Internet-Foren geführt.
“Sitzungen der Stadtratsfraktionen sollten öffentlich abgehalten werden”
Dazu gehört auch, dass die Sitzungen der Stadtratsfraktionen öffentlich abgehalten werden. Nichtöffentliche Fraktionssitzungen wären dann gerechtfertigt, wenn Gegenstände beraten werden, die der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht unterliegen; wenn das öffentliche Wohl, die Interessen der örtlichen Gemeinschaft gefährdet wäre; wenn die Rücksichtnahme auf berechtigte Interessen Einzelner das erfordert; wenn die Position der Fraktion bei der kommunalpolitischen Willensbildung in der Gemeinde oder in der Auseinandersetzung mit politischen Kontrahenten geschwächt würde. Die Geheimhaltungspflicht gilt jedoch nur in engen Grenzen, sie muss für jeden Einzelfall begründet sein – stellt also eine strikte Ausnahme dar.
Insbesondere ist über alle in nichtöffentlicher Sitzung behandelten Angelegenheiten solange Verschwiegenheit zu wahren, bis das entsprechende Gremium im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden die Schweigepflicht aufhebt. Diese Pflicht erstreckt sich auf den gesamten Verlauf der Verhandlung und nicht nur auf das Ergebnis.
“Die wichtigste Reform besteht darin, radikal das Öffentlichkeitsprinzip durchzusetzen”
Misstrauen in dieses Organ, der KEIN Ausschuss im eigentlichen Sinne ist, entsteht schon dadurch, dass es GRUNDSÄTZLICH nichtöffentlich tagt.
Trotzdem tagt der Ältestenrat grundsätzlich nichtöffentlich, auch Sozial-und Kulturausschuss tagen oft nichtöffentlich, dito der Verwaltungsausschuss.
Informationselite
Die „Wissenden“, so der von mir gewählte Name für dieses selbstreferentielle System in Meißen, sind in den im Stadtrat vertretenen Parteien zwar in der Minderheit, gegenüber der Mehrheit der Parteimitglieder jedoch durch die Fülle der von Ihnen gehaltenen oder preisgegebenen Informationen klar im Vorteil. Die demgegenüber nicht mit den Informationen ausgestattete Mehrheit der „einfachen“ Parteimitglieder befindet sich dadurch ständig wegen Fehlens der notwendigen Informationen in einer defensiven oder gar widerständigen Position zur „herrschenden“ Meinung und es entsteht eine Meinungsoligarchie, die sich nach und nach institutionalisiert.
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