OVG Bautzen weist Klage einer Lehrerin zurück: Keine Gefahr durch fehlenden Abstand für Grundschullehrer
Homeschooling, Arbeitsblätter, Hygieneregeln. Die Herausforderungen in der Corona-Krise für Lehrer, ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen, ist groß. Dass nun in sächsischen Grundschulen die Abstandsregelung von 1,5 Metern aufgehoben wurde, passte einer Lehrerin nicht. Sie befürchtete ein höheres Infektionsrisiko und reichte einen Eilantrag bei Gericht ein.

Ein Blick ins Klassenzimmer einer Grundschule.
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„Wo immer möglich, sind ein Mindestabstand zu anderen Personen von 1,5 Metern einzuhalten und weitere Maßnahmen zur Ansteckungsvermeidung zu beachten (Kontaktbeschränkung). Diese Grundsätze gelten für alle Lebensbereiche, einschließlich Arbeitsstätten.“ So heißt es in der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 3. Juni, aus der das Oberverwaltungsgericht Bautzen in seiner neuestens Entscheidung vom 10. Juni zum Aktenzeichen 3 B 194/20 zitiert.
Gleichzeitig gilt laut der Vorschrift: „Der Mindestabstand von 1,5 Metern gilt nicht in Kindertageseinrichtungen, in Schulen und bei schulischen Veranstaltungen…“ Mit einem Eilantrag hatte sich eine Lehrerin gegen diese Einschränkung des Mindestabstands gewandt. Sie fürchtete eine erhöhte Ansteckungsgefahr und sah sich in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt.
Die aktualisierte Vorschrift der sächsischen Regierung sei mit höherrangigem Recht unvereinbar, da für Kindertagesstätten und einen Teil der Schulen auf ein Schutzkonzept verzichtet werde, das im Übrigen generell für alle Lebensbereiche für erforderlich angesehen werde. Die generelle Abweichung von der Abstandsregelung sei durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt.
Bedenke man, dass bei etwa 25 Kindern, je zwei Eltern und etwaigen Geschwisterkindern im Fall einer Infektion schnell mehr als 50 infizierte Personen zustande kämen, dies aber schon bezogen auf 100.000 Einwohner der Schwellenwert für ein behördliches Einschreiten sein solle, sei die Rückausnahme von dem Schutzkonzept nicht begründbar. Weder das Konzept noch die Handlungsempfehlungen nähmen die örtlichen Verhältnisse in den Blick. Wissenschaft und Rechtsprechung nähmen bei Nichteinhaltung des Mindestabstandsgebots eine Gefährdung an, so die Argumentation der Lehrerin.
Der Antragsgegner führte an, dass die wechselseitigen grundrechtlich geschützten Belange in einen „bestmöglichen Ausgleich“ gebracht werden müssten. Das gelte sowohl für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sämtlicher am Schulbetrieb beteiligter Personen also auch für das Grundrecht der Schüler auf schulische Bildung. Es müsse auch in den Blick genommen werden, dass die Elternteile der Schüler wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen müssten.
Andere Maßstäbe in Grundschulen
„Angesichts der Eigenart des Grundschulunterrichts sei die Wahrung des Mindestabstands zwischen den Schülern nicht immer möglich“, erläuterte der Antragsgegner. Das Beschulungsziel in Grundschulen sei anders als bei höheren Klassen durch gleichwertige Alternativregelungen nicht möglich. Bei Kindern im Primarbereich sei die strikte Durchsetzung des Abstandsgebots „entwicklungspsychologisch“ nicht zu erwarten.
Das Gericht folgte der Argumentation, dass insbesondere unter Berücksichtigung der vom Antragsgegner im Einzelnen dargestellten Beschulungsgrundsätze von Grundschülern davon auszugehen sei, dass das Lehrpersonal seinem Lehrauftrag nur nachkommen könne, wenn es den Mindestabstand von 1,5 Metern erforderlichenfalls unterschreite. Insoweit sah das Gericht keine Verletzung der Schutzpflicht im Hinblick auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Lehrerin.
Eine Gefährdung durch infizierte Kinder bei Unterschreitung des Mindestabstands von 1,5 Metern sah das Gericht „wissenschaftlich bislang nicht eindeutig erwiesen“. Insoweit führte es aus, dass zwar wissenschaftlich feststehe, dass Kinder im Grundschulalter über dieselbe Virenlast wie Erwachsene verfügen würden; nicht geklärt sei allerdings, ob sie die Viren im gleichen Umfang wie Ältere weitergeben würden.
Der Antragsgegner habe zutreffend darauf hingewiesen, dass Kinder im Grundschulalter – ebenso wie Kindergartenkinder – nicht auf die Wahrung eines Mindestabstands verwiesen werden können, weil sie diesen aufgrund ihres Alters, ihrer Einsichtsfähigkeit und ihres Reifegrades bei hoher Beweglichkeit nicht einhalten würden. Zudem würden auch die Lehrkonzepte für die Abhaltung des Unterrichts in Grundschulen die Einhaltung eines solchen Mindestabstands weder ermöglichen noch vorsehen. „Ein Lernen im Heimunterricht wie etwa bei älteren Schülern ist aufgrund der Natur der Sache ohne Unterstützung und Hilfe Erwachsener nicht möglich“, so das Gericht.
Rechtliche Interessen der Kinder überwiegen
Während die Grundrechte insbesondere der betroffenen Kinder im Grundschulalter mit zunehmender Dauer einer Beschulung in häuslicher Gemeinschaft schwer betroffen sein dürften und möglicherweise Entwicklungs- und Bildungsdefizite entstehen, die auch später nicht mehr aufgeholt werden können, seien die Ansteckungsgefahren für den Lehrkörper nach Aussage des Gerichts „derzeit wissenschaftlich als offen zu bezeichnen“ und angesichts der geringen Infektionszahlen von „nur geringer Wahrscheinlichkeit“.
Schließlich könne die Lehrerin, sofern sie zu der vom sächsischen Kultusministerium näher beschriebenen Risikogruppe gehören sollte, eine Befreiung von der Präsenzpflicht erlangen. Eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung vermochte der Senat daher derzeit nicht festzustellen.
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