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plus-iconVerblasster Glanz

Teil-Aus der Weihnachtsmärkte: Wohin mit den vielen Tausend Litern Wein?

Fast alle Weihnachtsmärkte fallen aus – trotz Maskenpflicht und 2G-Regelungen. Während die Emotionen bei vielen Bürgern hochkochen, bahnt sich für die Budenbetreiber und Schausteller ein finanzielles Desaster an. Forderungen nach neuen Staatshilfen werden lauter.

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Weihnachtsmarkt in Dresden.

Foto: Sean Gallup/Getty Images

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Lesedauer: 11 Min.

„Eine unübersehbare Menschenmenge bildet Knäuel, die zergehen, wälzt sich weiter und entschwindet wieder. Es ist, als sei das Gewimmel ein notwendiger Bestandteil der hölzernen Stadt.“ Wovon heute die meisten nur kaum zu träumen wagen, beschrieb der Soziologe und Filmkritiker Siegfried Kracauer 1932 in einem Essay „Weihnachtlicher Budenzauber“, den er für die „Frankfurter Zeitung“ schrieb. Er fährt fort: „Hier in der Budenstadt wagt sich das Gelichter vollständig an den Tag. Es kriecht aus Ritzen und Schlupfwinkeln hervor und freut sich des Passierscheins, den man ihm in Erwartung der Feiertage gegeben hat.“
Auch wenn jener Passierschein nicht als böse Vorahnung auf das heutige Corona-Reglement verstanden werden soll, beschwören Kracauers Zeilen eine Zeit herauf, die heute unerreichbar scheint. Wer sich nach dem Lockdown im vergangenen Winter auf den Duft von Zimt und Glühwein gefreut hat, wird in diesem Jahr einmal mehr vielerorts enttäuscht. Mit dem Nürnberger Christkindles- und dem Münchner Christkindlmarkt (der semantische Unterschied liegt im Detail) wurden bereits zwei der traditionsreichsten Weihnachtsmärkte dieser Republik abgesagt.
Auch wer sich in Sachsen auf Waffeln und gebrannte Mandeln gefreut hat, wird desillusioniert. Die Buden des Dresdner Striezelmarktes wurden längst wieder abgebaut. „Ich bin sehr enttäuscht. So etwas Ignorantes und Unsensibles habe ich noch nicht erlebt“, wettert der Dresdner Veranstalter Holger Zastrow, der mit seiner Firma „Plan de Saxe“ den Augustusmarkt auf der Dresdner Hauptstraße und den Canaletto-Markt in Pirna veranstaltet.
Er glaubt nicht, dass die Absage der Märkte die Corona-Situation verbessert und sieht einen Vertrauensbruch durch die Landesregierung. Den Schaden, der ihm durch die Absage entsteht, beziffert der Dresdner FDP-Politiker und Agenturbetreiber für beide Märkte auf eine halbe Million Euro.

Kleine Familienbetriebe sind besonders betroffen

Zastrow sieht den Ministerpräsidenten und seine Regierung persönlich in der Haftung: „Seit dem Sommer hat Michael Kretschmer immer gesagt, dass die Weihnachtsmärkte stattfinden.“ Selbst in der Verordnung vor eineinhalb Wochen vor der Absage seien sie noch enthalten gewesen. „Wir haben der Regierung vertraut, aber dieses Vertrauen wurde jetzt vorsätzlich gebrochen“, schimpft Zastrow.
„Schweren Herzens“ hat auch die Stadt Stuttgart bereits am 22. November ihren beliebten Budenzauber abgesagt. „Auch wenn es unglaublich wehtut, bleibt uns jetzt keine andere Wahl mehr“, so Oberbürgermeister Frank Nopper. Die Stadtverwaltung habe alles versucht, um diesen Weihnachtsmarkt möglich zu machen.
„Sie hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht und sie weiß um die Konsequenzen für die betroffenen Gastronomen und Schausteller“, schrieb die Stadt auf ihrer Homepage. Man werde sich gemeinsam mit den Städten Esslingen und Ludwigsburg beim Land für eine Entschädigung der Gastronomen und Schausteller einsetzen. Parallel werde geprüft, inwieweit die Stadt finanzielle Überbrückungshilfe leisten kann.
Oberbürgermeister Nopper appellierte an Bund und Land, die Gastronomen und Schausteller, die von den Absagen der Weihnachtsmärkte betroffen sind, mit zielgerichteten Corona‐Hilfsmaßnahmen zu unterstützen: „Es handelt sich ganz überwiegend um kleine Familienbetriebe, die in Folge der Pandemie in ihrer Existenz bedroht sind, in diesem Winter nun noch schlimmer als zuvor.“

Finanziell nicht mehr ein zweites Mal zu verkraften

Matthias Eigel aus dem schwäbischen Bietigheim hat seine eigene Lösung gefunden. „Wir waren von der kurzfristigen Absage geschockt und haben erst einmal geweint“, gesteht der 56-Jährige, der seit vielen Jahren den Stand „Toni Maroni“ auf dem Ludwigsburger Weihnachtsmarkt betreibt. Statt die Hände in den Schoß zu legen und zu lamentieren, rettete er, was zu retten war – und verkaufte über seine Kontakte auf WhatsApp und Facebook die bestellten Maroni, den Glühwein und Punsch zum Selbstkostenpreis.
Die Maroni sind im angeschnittenen Zustand nur kurz haltbar – deshalb musste schnell gehandelt werden. Ansonsten hätten die Maroni zu faulen begonnen – sie wären nicht mehr essbar gewesen. Eine halbe Tonne hatte er bereits eingekauft, die er in seiner Garage in Portionen von maximal fünf Kilogramm an den Mann oder an die Frau gebracht hat. „Die Hilfsbereitschaft war riesengroß“, freut sich Eigel. Natürlich fehlt ihm die Gewinnspanne, mit der er für dieses Jahr geplant hat. „Das ist sehr schmerzhaft“, bekennt er, die Schadenssumme liegt im fünfstelligen Bereich.
Der Maroni-Lieferant in Italien bleibt nun im zweiten Jahr hintereinander auf seiner Ware sitzen. Ebenso geht es den Weinproduzenten mit ihrem Glühwein. „Das ist nicht nur extrem tragisch, sondern für viele existenzbedrohend und muss erst einmal emotional verarbeitet werden“, meint Eigel. Er hat Glück, weil er als Inhaber einer Werbeagentur (kaleidoskop.de) nicht ausschließlich von diesem Geschäft lebt, das gleichwohl seine Leidenschaft ist. Von fast jedem Dritten der Marktleute hat er gehört, dass sie es nicht schaffen, die Absage ein weiteres Mal finanziell zu verkraften.
Derweil wartet das Gros der enttäuschten Buden-Betreiber auf Hilfsgelder, die für verderbliche Waren zur Verfügung gestellt werden könnten. Doch dann muss die Ware vernichtet werden. Die Entsorgung ist nicht nur eine logistische Herausforderung, weil viele Tausend Liter Wein nicht einfach im Kanal entsorgt werden können, sondern zugleich ein ethisch-moralisches Dilemma. Eigel mach sich Sorgen um diejenigen, die in der Versorgungskette davon betroffen sind: „Was macht der Winzer? Was machen der Maroni-Lieferant und die Maroni-Bauern in Italien? Der Schaden ist groß.“

Es gibt kein dichtes Gedränge wie früher

Szenenwechsel nach Berlin, wo die Weihnachtsmärkte – noch (Stand: 30.11.) – weiter öffnen dürfen. Auch für geimpfte Besucher gilt die Maskenpflicht. Der große Ansturm blieb am ersten Adventswochenende aus.
„Es gab kein dichtes Gedränge wie früher“, berichtet ein Sprecher des Weihnachtsmarktes auf dem Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte. Die Leute seien bedächtiger und deutlich zivilisierter als sonst, beobachtet Peter Müller, der seit Jahrzehnten gemeinsam mit seiner Frau drei Essensstände auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz betreibt.
Auch in anderen Teilen der Republik ist die Freude bestenfalls verhalten, wie beispielsweise einem Bericht eines Forumsteilnehmers auf „Welt Online“ über den Weihnachtsmarkt in Kassel zu entnehmen ist. „Um die zwei bis vier Grad Celsius in der Fußgängerzone. Viele Menschen, aber nicht überfüllt. 99 Prozent trugen Masken an der frischen Luft, obwohl nicht überall gefordert.“ Als Mensch ohne oder mit heruntergezogener Maske fühlte er sich „deplatziert und unwohl“. Essen an den Ständen sei nur möglich, wenn man sich vorher anstellte.
Nach der Überprüfung seiner Covid-App und dem Personalausweis bekam er ein rotes Armband als Markierung, um sich an den Essensständen anstellen zu dürfen, die abgesperrt waren und von Ordnungskräften kontrolliert wurden. Währenddessen prüften Polizei und andere Ordnungshüter die Maskenpflicht. Sein Fazit: „Als sinnlicher und netter Weihnachtsbummel für mich vollkommen unakzeptabel, zumal die Ansteckung ja laut Wissenschaftlern im Freien unwahrscheinlich ist.“

Steuerzahler sollen zahlen

„Es muss eigentlich zu einer hundertprozentigen Entschädigung kommen“, fordert Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, „mindestens brauchen wir wie im vergangenen Jahr eine November- und Dezemberhilfe.“ Sonst stünden viele Schausteller vor dem Aus.
„Wir haben uns jetzt impfen lassen, man hat uns gesagt, das ist der Weg aus der Pandemie“, polterte Ritter im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ – „und jetzt sollen wir uns trotzdem wieder testen lassen. Das kann einfach nicht sein.“ Er habe das Gefühl, die Politiker wüssten nicht, wie das sei, von der Tageskasse abhängig zu sein und damit seine Familie ernähren zu müssen. „Das kann man wohl nicht verstehen, wenn man als Minister eine fette Pension bekommt.“
Einige Marktleute erwirtschaften bereits seit Dezember 2019 keine Umsätze mehr. Zwischenzeitlich hat das Wirtschaftsministerium erklärt, dass Aussteller auf Weihnachtsmärkten die geltende Überbrückungshilfe III Plus erhalten können.
Als „besonders relevant“ erachtet das derzeit noch vom geschäftsführenden Wirtschaftsminister Peter Altmaier verantwortete Ressort die Abschreibung auf verderbliche Ware und Saisonware. Auch die bis Jahresende befristete Überbrückungshilfe ist bis Ende März 2022 verlängert worden. Dabei sollen von der Pandemie belastete Firmen betriebliche Fixkosten erstattet bekommen.
Im vergangenen Jahr erhielten betroffene Budenbetreiber eine Kostenpauschale in Höhe von bis zu 75 Prozent des jeweiligen Vergleichsumsatzes im Vorjahr. Doch das wird nach Ansicht von Christoph Meyer vom Brandenburgischen Schaustellerverband (BSEV) Sanssouci kaum genügen. “Wir brauchen mindestens die gleichen Hilfen wie im letzten Jahr, wenn nicht sogar mehr”, fordert er. Durch die kurzfristige Absage seien die Verluste in diesem Jahr noch größer. Platzgelder, Personalkosten und Ware seien bereits bezahlt worden.
Die neuerlichen Rettungsaktionen dürften den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Einer Befragung im Auftrag des Deutschen Schaustellerbundes zufolge erwirtschaften Schausteller und Markthändler in der Vorweihnachtszeit wie etwa Kunsthandwerker auf deutschen Weihnachtsmärkten rund drei Milliarden Euro Umsatz.

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