Interne Disziplinierung: Ermittlungen gegen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt
Der 2017 zum Kai Diekmann-Nachfolger bei der „Bild“-Zeitung bestellte Julian Reichelt muss sich nach Vorwürfen von Mitarbeiterinnen Compliance-Ermittlungen stellen. Reichelt hatte sich mehrfach kritisch über die Regierung Merkel und das KP-Regime in China geäußert.
Medienberichten zufolge muss sich der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Julian Reichelt, derzeit internen Compliance-Ermittlungen des Axel Springer Verlages stellen.
Wie der „Spiegel“ berichtet, soll die international tätige Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer damit betraut worden sein, Vorwürfe von „rund ein halbes Dutzend Mitarbeiterinnen“ des Axel Springer Verlages nachzugehen, die diese im Laufe der vergangenen Jahre gegen den Journalisten erhoben hatten.
Chief Compliance Officer Florian von Götz geht derzeit den Anschuldigungen nach, die unter anderem in Richtung Machtmissbrauch, Ausnutzung von Autoritätsverhältnissen, Nötigung oder Mobbing zielen.
Ein Sprecher des Verlages wollte sich zu den Darstellungen, die unter anderem von „ZDF Magazin Royale“-Moderator Jan Böhmermann an die Öffentlichkeit getragen wurden, nicht äußern, weil man sich „zu internen Vorgängen grundsätzlich nicht“ äußere.
Vorgänger Diekmann der sexuellen Belästigung beschuldigt
Der 40-jährige Julian Reichelt, der seit 2002 bei Springer tätig ist und aus der konzerneigenen Journalistenschule kommt, hatte sich im Nachrichten-Ressort schnell durch Berichte aus Krisengebieten profilieren können.
Bereits 2007 stieg er zum Chefreporter bei „Bild“ auf, 2014 übernahm er die Chefredaktion von Bild Digital und 2017 folgte er Langzeitchef Kai Diekmann als Gesamtverantwortlicher für das Massenblatt nach.
Diekmanns Abgang war von Vorwürfen einer Mitarbeiterin des Verlags überschattet, dieser habe sie im Sommer 2016 nach einer Klausurtagung in Potsdam sexuell belästigt. Der Verlag kündigte im Dezember 2016 an, sich von Diekmann trennen zu wollen, bestritt jedoch einen Zusammenhang mit den Anschuldigungen der Mitarbeiterin.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Diekmann wegen sexueller Belästigung wurden Anfang August 2017 eingestellt.
Umgangston als Quelle „wiederholten Fehlverhaltens“?
Von sexuellen Übergriffen ist nun mit Blick auf Nachfolger Reichelt, der 2018 auch Chefredakteur der Printausgabe von „Bild“ geworden war, explizit nicht die Rede.
Das „wiederholte Fehlverhalten“, das Reichelt angelastet werde, sei eher im Bereich der Ausgestaltung des Arbeitsklimas anzusiedeln. So soll der „Bild“-Chef Kolportagen zufolge einen „barschen Umgangston“ an den Tag gelegt haben. Dies soll vor allem gegenüber Frauen der Fall gewesen sein.
Die Angelegenheit soll nun, so heißt es aus informierten Kreisen, „sorgfältig geprüft“ werden. Publizisten wie Boris Reitschuster oder Klaus Kelle argwöhnen jedoch, dass das nunmehrige Compliance-Verfahren auch im Kontext kritischer Berichterstattung in der „Bild“ gegenüber der Corona-Politik der Bundesregierung stehen könnte, wie sie in jüngster Zeit mehrfach angeklungen war.
War Reichelt gegenüber den falschen Leuten zu kritisch geworden?
Die „Bild“ hatte jüngst einige politisch heiße Eisen angefasst: Dass das immer noch auflagenstärkste Printmedium die Rolle des chinesischen KP-Regimes in der Ausbreitung der Corona-Pandemie kritisch beleuchtet und auch dessen Menschenrechtsverletzungen thematisiert hat, sorgte in Peking für so große Empörung, dass die chinesische Botschaft einen offenen Brief an Reichelt richtete.
Die „Bild“ enthüllte zudem, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Sommer des Vorjahres Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zurückgepfiffen hatten, als dieser in Eigenregie mit mehreren Amtskollegen die Lieferung künftiger Corona-Impfstoffe organisieren wollte.
Um „Impfnationalismus“ zu vermeiden und in dieser wichtigen Frage ein „symbolisches Zeichen“ für „Europa“ zu setzen, sollte die Impfstoffbeschaffung der EU-Kommission überlassen werden – was mit ausbaufähigen Resultaten dann auch veranlasst wurde.
Licht und Schatten in der „Bild“-Berichterstattung
Erst jüngst veröffentlichte „Bild“ einen Rundumschlag gegen die „Nicht-zuständig-Regierung“, in dem mehreren Mitgliedern der Bundesregierung ein folgenschweres Versagen bei der Bewältigung der Corona-Krise attestiert wurde. Darin bezeichnete er den jüngsten Corona-Gipfel „als Verwirrspiel mit einem Hauch von sozialistischer Mangelverwaltungsrhetorik der Bundesregierung. Ich weiß bei vielem nicht mehr, was erlaubt ist… oder besser, was mir die Kanzlerin noch erlaubt“, kritisierte er.
Reichelt wurde von Kritikern jedoch in anderen Zusammenhängen vorgeworfen, Agitationsjournalismus mit zum Teil unzutreffenden Behauptungen zu betreiben.
So habe der Bild-Chef voreilig eine Story über angebliche Kontakte des damaligen Juso-Chefs Kevin Kühnert mit „russischen Trollen“ als authentisch verbreitet, bei der es sich tatsächlich um einen Spoof der Satire-Zeitschrift „Titanic“ gehandelt habe.
Er sprach von einem gezielten Cyberangriff des russischen Geheimdienstes auf sensible Infrastruktur – während es sich bei der angeblichen Hackergruppe „GOd“ lediglich um einen übermütigen Schüler gehandelt hatte, der noch bei seinen Eltern wohnt.