Nach drei Jahren Abschiebestopp
1.000 Euro auf die Hand und ein Ticket nach Afghanistan: 28 Straftäter abgeschoben
Kurz vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen hat die Bundesregierung mit einem Tabu gebrochen: Am Freitagmorgen wurden 28 straffällig gewordene Afghanen von Leipzig nach Kabul ausgeflogen.

Polizeibeamte begleiten in einem Flugzeug Afghanen, die in ihre Heimat abgeschoben werden. (Symbolbild)
Foto: Michael Kappeler/dpa
Am Morgen des 30. August 2024 hat das Bundesinnenministerium 28 Straftäter mit afghanischer Staatsbürgerschaft aus Deutschland ausfliegen lassen. Ein Charterjet der Fluggesellschaft Qatar Airways sei mit ihnen kurz vor 7:00 Uhr von Leipzig in Richtung Kabul gestartet. Das berichtet der „Spiegel“. Die Maschine soll nach Angaben eines Sprechers des sächsischen Innenministeriums am Mittag landen.
Wenige Stunden nach dem Abflug bestätigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Abschiebungen. „Deutschland schiebt heute 28 Straftäter nach Afghanistan ab. Unsere Sicherheit zählt, unser Rechtsstaat handelt. Ich danke der Bundespolizei und den Ländern für die enge Zusammenarbeit“, schreibt sie auf der Social-Media-Plattform X.
Es handele sich um das erste Mal, dass Afghanen zurück in ihre Heimat abgeschoben worden seien, seitdem die NATO das Land am Hindukusch im Sommer 2021 aufgegeben hatte und abgezogen war. Seitdem herrschen vor Ort die strenggläubigen Muslime der Taliban. Die deutsche Botschaft wurde am 15. August 2021 geschlossen. Die Bundesregierung hatte schon kurz vor der Machtübernahme der Taliban einen totalen Abschiebestopp für Afghanen in Deutschland verhängt. Dieser scheint nun Geschichte.
1.000 Euro bar auf die Hand
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag seien die afghanischen Straftäter aus elf Bundesländern zum Leipziger Flughafen gebracht worden, schreibt der „Spiegel“. Sie hätten sich zuvor in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aufgehalten. Einige hätten bereits im Gefängnis gesessen.
Vor dem Lift-Off habe man jedem Abzuschiebenden jeweils 1.000 Euro „Handgeld“ mit auf den Weg gegeben. Deutsche Polizisten seien entgegen der sonst üblichen Abschiebepraxis nicht mitgeflogen.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP bestätigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Morgen, dass die abgeschobenen Afghanen „sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen“. Hebestreit bedankte sich auch bei den „regionalen Schlüsselpartnern“. Die Bundesregierung sei zu weiteren „Rückführungen“ dieser Art entschlossen: „Das Sicherheitsinteresse Deutschlands überwiegt klar das Schutzinteresse von Straftätern und Gefährdern.“
Vorausgegangen waren laut „Spiegel“ monatelange geheime Verhandlungen – allerdings nicht direkt mit den Taliban, sondern mit Vertretern von Katar. Das Emirat unterhalte „tragfähige Kontakte“ zu Kabul, die eine „diskrete Schützenhilfe“ gewährleistet hätten. Bei den Verhandlungen seien auch das Kanzleramt und die Innenbehörden involviert gewesen.
„Sicherheitskreise“ hätten jedoch Bedenken geäußert, dass es womöglich noch anderer Partner bedürfe, um „im großen Stil“ nach Afghanistan abschieben zu können. Hinter den Kulissen fänden deshalb auch Gespräche mit Nachbarstaaten Afghanistans statt, etwa mit dem nördlichen Nachbarn Usbekistan.
Rückschlag für Baerbock
Annalena Baerbock (Grüne), die Chefin des Auswärtigen Amtes (AA), habe sich mit ihrem Widerstand dieses Mal nicht durchsetzen können. Baerbock lehnt trotz entsprechender Angebote jegliche direkte Verhandlungen mit den Taliban ab und bemüht sich seit ihrem Amtsantritt darum, den Weg nach Deutschland für afghanische „Ortskräfte“ freizumachen. Zuletzt war sie wegen der sogenannten Visaaffäre allerdings unter Druck geraten.
In seinem jüngsten Lagebericht vom Juni 2023 zur Situation vor Ort (PDF) hatte das AA unter anderem eine „massive und systematische Beschneidung“ von Grund- und Freiheitsrechten seitens der Taliban festgestellt, außerdem „Entführungen, Folter und Ermordung ehemaliger Angehöriger der Regierung und der Sicherheitskräfte durch die Taliban“. Auch im Ausland straffällig gewordenen Rückkehrern drohe eine erneute Verurteilung, so der „Spiegel“.
Erst vor wenigen Tagen hatten die Taliban ein an der Scharia orientiertes „Tugend“-Gesetz eingeführt, das insbesondere für Frauen weitere Einschränkungen im Alltag bedeutet.
Am Donnerstag, wenige Tage nach dem dreifach tödlichen Messerattentat von Solingen, hatte die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket präsentiert. Die neuen Richtlinien sollen allgemein zum Kampf gegen irreguläre Migration beitragen. Angestrebt wird unter anderem, Straftäter und sogenannte „Gefährder“ auch nach Syrien und Afghanistan verbringen zu können. Bei der Vorstellung der Pläne hatte Faeser dem „Spiegel“ zufolge angekündigt, „sehr bald“ mit den Abschiebungen zu beginnen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits Anfang Juni unter dem Eindruck des von einem Afghanen in Mannheim getöteten Polizisten Rouven Laur in einer Regierungserklärung seine Bereitschaft betont, schwere Straftäter auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Außerdem soll die Verherrlichung terroristischer Straftaten als Abschiebegrund gelten.
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