In Spanien wird ein neues Parlament gewählt. Die Wahlbeteiligung lag am Sonntagnachmittag höher als bei der vorherigen Wahl. Trotz hoher Temperaturen hätten bis 14:00 Uhr schon rund 40,5 Prozent der Stimmberechtigten gewählt, teilte die Wahlbehörde mit. Das waren etwa zweieinhalb Prozentpunkte mehr als bei der Parlamentsneuwahl im November 2019.
Viele Wähler sagten im Fernsehen, sie hätten ihre Stimme schon frühzeitig abgegeben, um der Wärme des Nachmittags zu entgehen. Wer keinen Fächer dabei hatte, benutzte die Wahlzettel in den Schlangen vor den Wahlurnen, um sich etwas Abkühlung zu verschaffen. Einige Wähler gaben ihre Stimme sogar im Badeanzug ab, wie im TV-Sender RTVE zu sehen war. Die ersten Stunden der Wahl verliefen ohne nennenswerte Zwischenfälle.
Die Wahllokale sind von 9:00 bis 20:00 Uhr geöffnet. Insgesamt sind 37,5 Millionen Spanier aufgerufen, 350 Abgeordnete und 208 Senatoren zu wählen. Rund 2,5 Millionen Spanier haben bereits per Briefwahl abgestimmt. Erste Resultate werden für etwa 21:00 Uhr erwartet.
Machtwechsel erwartet
Umfragen deuteten auf einen Rechtsruck hin, ein Bündnis aus der konservativen Partei Partido Popular (PP) und der Partei Vox könnte demnach die Minderheitsregierung des Sozialdemokraten Pedro Sánchez ablösen. Die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) von Sánchez regiert Spanien seit 2018, seit Januar 2020 in einer Minderheitskoalition mit der Linkspartei Podemos, die aus der Protestbewegung gegen die Sparpolitik hervorgegangen war. Sánchez ist bei den Spaniern mittlerweile sehr unbeliebt.
Die Wahl findet mitten im Sommer statt, wenn über ein Viertel der Spanier im Urlaub sind. Es könnte sein, dass viele Wähler nicht erscheinen. Das macht es unmöglich, die Wahlbeteiligung vorher abzuschätzen. Vermutet wird, dass keine Partei die für die Bildung einer Mehrheitsregierung erforderliche Stimmenanzahl erhält.
Die jüngsten Wahlumfragen vom 17. Juli zeigen (in Spanien dürfen fünf Tage vor der Wahl keine neueren Umfragen veröffentlicht werden):
- PP – 34 Prozent
- PSOE – 28 Prozent
- VOX – 13 Prozent
- Sumar – 13 Prozent
PP: Volkspartei, Partido Popular
Vorsitzender: Alberto Núñez Feijóo (61, bezeichnet sich selbst als „langweiligen Technokraten“, konservativ, gemäßigt, versprach starke Unterstützung der EU, der Ukraine, Lateinamerika, eher neu auf der internationalen Bühne, spricht kaum Englisch)
Zugehörigkeit im Europäischen Parlament: EVP
PSOE: Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens, Partido Socialista Obrero Español
Vorsitzender: Pedro Sánchez (Premierminister, bei der Bevölkerung kamen seine Pakte mit den katalanischen Separatisten und mit der baskischen Partei EH Bildu nicht gut an. EH Bildu ging aus dem parlamentarischen Arm der ehemaligen Terrororganisation ETA hervor)
Zugehörigkeit im Europäischen Parlament: S&D
Vox: Konservativ, rechts (wird oft mit der AfD verglichen)
Vorsitzender: Santiago Abascal (seit 2019 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Madrid, vor der Vox-Gründung lange Zeit Mitglied der PP, diente als Abgeordneter im baskischen Parlament)
EP-Zugehörigkeit: Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR)
Sumar: (Vereinigen, Sumar ist eine neue linke Wahlplattform, die alle politischen Kräfte links von der PSOE vereint, um einen Sieg von PP und Vox zu verhindern. Fast alle linken Kräfte haben sich in mit Sumar verbündet)
Vorsitzender: Yolanda Díaz (Arbeitsministerin)
EP-Zugehörigkeit: keine, ist noch zu neu
Folgenreiche Abstimmung
„Am Sonntag werden die Wähler darüber entscheiden, ob das Land das letzte Land in Europa sein wird, das einen Rechtsruck vollzieht, oder ob es auf absehbare Zeit in einen Zustand der Lähmung mit einer Übergangsregierung abrutschen wird.“
Zum ersten Mal seit Franco könnte die Wahl durch Konservative oder auch Rechte gewonnen werden. Das wiederum wäre ein Zeichen für einen größeren Umbruch in Europa, weg von linken und grünen Regierungen.
Ende Mai, wenige Stunden nach der schweren Schlappe seiner Partei bei den Kommunal- und Regionalwahlen, hatte Sánchez vorgezogene Neuwahlen angekündigt. Damals erlitt die linke Koalitionsregierung bei den Kommunalwahlen eine überraschende Niederlage.
Die Parteienlandschaft
Die beiden größten Parteien im Land sind die Sozialistische Partei von Premierminister Pedro Sánchez und die Mitte-Rechts-Partei Popular. Für Sánchez ist die Wahl ein Test seiner persönlichen Beliebtheit im Land. Er ist bei der Wählerschaft unbeliebt, seine Chancen stehen schlecht. Bei seiner letzten Wahlkampfkundgebung forderte er die Menschen auf, die Wahl als eine Wahl zwischen „der fortschrittlichen Regierung der Sozialistischen Partei […] der einer Regierung aus der Volkspartei und der Vox-Partei“ zu betrachten.
Das Abgeordnetenhaus besteht aus 300 bis 400 Abgeordneten, die in 52 Wahlkreisen bestimmt werden. 350 Abgeordnete werden gewählt, die Legislaturperiode beträgt vier Jahre. Regionale und kleine Parteien spielen eine größere Rolle als in Deutschland und werden von den größeren Parteien umworben.
Umfragen zeigen, dass „die Volkspartei bei dieser Wahl die meisten Stimmen erhalten wird – aber nicht genug, damit der Konservative Alberto Núñez Feijóo allein regieren könnte“, so „Politico“. Werden mehr als 165 Sitze erreicht, würde Feijóo eventuell über eine Minderheitsregierung mit den regionalen Parteien versuchen, Vox und ihren Führer Santiago Abascal Conde zu umgehen.
Vox wird ähnlich wie die AfD in den Medien gebrandmarkt. Eines der ersten Vorhaben der Partei ist, sollte sie mit an die Macht kommen, das spanische Ministerium für Gleichstellung abzuschaffen. Das Programm der Partei schlägt außerdem vor, die Marine einzusetzen, um Migrantenboote daran zu hindern, nach Spanien zu gelangen, sich aus dem Pariser Abkommen und ähnlichen Klimaabkommen zurückzuziehen und den Vorrang der spanischen Justiz gegenüber der Europäischen Union zu erklären.
„Nur Vox wagt es, die Richtung zu ändern, in die Spanien geht“, sagte Abascal am Freitag zu seinen Anhängern und versprach, das Land vor „der linken Sekte“ zu retten, die das Land entführt hätte.
Wie geht es nach der Wahl weiter?
Nach der Wahl gibt es eine längere „Siesta“ in der Politik. Erst Ende August tritt das spanische Parlament erneut zusammen. Anschließend trifft sich der spanische König mit den Führern der politischen Gruppen. Er wird diejenige mit der größten Wählerschaft bitten, einen Versuch zur Regierungsbildung zu unternehmen.
Unterstützen 176 Abgeordnete einen Kandidaten als neuen Premier, dann wird dieser an die Macht kommen. Wenn nicht, kann 48 Stunden später eine zweite Abstimmung stattfinden, wobei der Kandidat lediglich eine einfache Mehrheit (mehr Ja- als Nein-Stimmen) erreichen muss.
Wird kein Kandidat gewählt, muss binnen zwei Monaten agiert werden – danach wird der König das Parlament auflösen und erneute Neuwahlen ansetzen. Daher wird damit gerechnet, dass Spanien erst Ende dieses Jahres oder Anfang 2024 eine neue Regierung haben wird.
Solange bliebe Sánchez geschäftsführender Premierminister, ihm stünden begrenzte Befugnisse zu. Neue Gesetze könnten nur in Notfällen verabschiedet werden. Übergangsregierungen sind in Spanien nicht unbekannt und gab es schon mehrfach.
(Mit Material der Agenturen)