
Viel Gegenwind für Lindner wegen Aussagen zu Kinderarmut
Die Einschätzung des Bundesfinanzministers über die Zusammenhänge zwischen Kinderarmut und Zuwanderung sorgen für reichlich Empörung. Grüne und SPD hoffen auf ein schnelles Ende des Streits um die Kindergrundsicherung.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat mit seinen Aussagen über Kinderarmut und Zuwanderung viel Kritik provoziert.
Foto: Fabian Sommer/dpa
Nach Christian Lindners Vorstoß für eine völlig anders gestaltete Kindergrundsicherung überflutet eine Welle der Empörung den Bundesfinanzminister. Besonders ein Satz vom Wochenende, den Lindner beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung geäußert hatte, erregt die Gemüter:
„Es gibt also einen ganz klaren statistischen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kinderarmut.“ (Christian Lindner)
Die Kinderarmut in Deutschland sei aus seiner Sicht „indiskutabel“ hoch, meinte Lindner weiter – und zwar „wegen der Familien, die seit 2015 neu nach Deutschland eingewandert sind, als Geflüchtete oder aus anderen Gründen“. Schon jetzt erhalte eine fünfköpfige Familie allein durch das Bürgergeld rund 37.000 Euro pro Jahr vom Steuerzahler.
Lindners Alternativvorschlag zu den Plänen von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne): Die Milliarden für die Kindergrundsicherung sollten besser in Sprachförderung, Integration, in die Beschäftigungsfähigkeit der Eltern und in die Kitas und Schulen gesteckt werden (Video auf X/Twitter).
Linken-Chefin Wissler: Kinderarmut nicht „importiert“
Janine Wissler, die Parteichefin der Linken, konterte auf ihrem X-Account (vormals Twitter) mit der Frage, warum die Ampel-Regierung die Finanzierung der Sprachkitas eingestellt habe. Zuvor hatte sie im „Bericht aus Berlin“ der ARD darauf hingewiesen, dass Kinderarmut „ein strukturelles Problem“ und nicht „importiert“ sei. Vielmehr hätten Niedriglöhne, Teilzeitbeschäftigungen und zu niedrige Sozialleistungen für Eltern damit zu tun, insbesondere bei Alleinerziehenden.
Der Jurist und ehemalige Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Linke) äußerte sich weit schärfer: „Aus Sicht der Bundesregierung – in Gestalt des Bundesfinanzministers – sind Ausländer also schuld an der Kinderarmut. Abgrundtief bösartig, abgrundtief ekelhaft. Mir fällt zu dieser perfiden Strategie, nun arme Menschen verantwortlich für Armut zu machen, nichts mehr ein.“
Paritätischer Gesamtverband: „Unsäglich“
Der Hauptgeschäftsführer des „Paritätischen Gesamtverbandes“, Ulrich Schneider, kritisierte Lindners Position nach Informationen des ZDF ebenfalls hart: Er halte es „für unsäglich, wenn der Finanzminister nun anfängt, arme Kinder aus Deutschland auszuspielen gegen die Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine zu uns flüchten mussten“. Es sei zwar durchaus richtig, Eltern mit besonderen Angeboten zu unterstützen, um in Arbeit zu kommen. Das aber dürfe „kein Argument sein, um Kinder in Armut zu belassen“.
Gerhard Brand von der Lehrergewerkschaft „Verband Bildung und Erziehung“ (VBE) bezeichnete Linders Äußerungen laut ZDF als einen „Affront gegen von Armut betroffene Kinder“.
Der Berliner Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, reihte sich ebenfalls in die Phalanx der Lindner-Kritiker ein: „Erstens ist die Mehrheit der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen deutsch. Und zweitens sollte es für eine Gesellschaft und vor allem für eine Bundesregierung völlig irrelevant sein, welche Hautfarbe, welchen Ursprung die Menschen haben, die in Armut leben“, sagte Fratzscher in der „Aktuellen Stunde“ des WDR.
Grüne drängen auf schnelles Konfliktende
Auch die Co-Parteichefin der Grünen, Ricarda Lang, widersprach dem Bundesfinanzminister: Gegenüber „ZDF heute“ erklärte sie, dass „verfestigte Kinderarmut“ bereits länger in Deutschland existiere. „Die Frage, ob man etwas gegen Kinderarmut tun sollte“, hänge für sie „nicht von der Herkunft ab“. Sie empfahl, sich innerhalb der Regierungskoalition noch in diesem Monat auf die Kindergrundsicherung zu einigen.
Britta Haßelmann, die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, geht davon aus, dass schon das Kabinettstreffen im brandenburgischen Schloss Meseberg Ende August den Konflikt zwischen Lindner und Paus beenden könnte. Entsprechende „Beschlüsse im Kabinett“ zu den Gesetzesvorhaben in Sachen Kindergrundsicherung und Wachstumschancen „mit zielgenauen Impulsen“ erwarte sie spätestens bis zum 4. September, sagte Haßelmann am 21. August im ZDF-„Morgenmagazin“. Dann nehme der Bundestag seine Debatten wieder auf und werde beide Gesetze beschließen.
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatten ein schnelles Ende des Streits angemahnt.
Linder für eine andere Einwanderungspolitik
Lindner hatte seinen Standpunkt zuletzt am 22. August in einem Hörfunk-Interview mit dem „Bayerischen Rundfunk“ (BR) verteidigt: „Mit der Zuwanderung seit 2015“ sei die Kinderarmut „deutlich angestiegen“. Bei seinen Differenzen zu Familienministerin Paus gehe es „nicht nur um Geld, sondern darum, Kindern und Jugendlichen ihre Lebensperspektive zu verbessern“.
Während man es in Deutschland jenen Menschen „zu leicht“ mache, die „in den Sozialstaat eingewandert“ seien, erschwere man die Zuwanderung von Fachkräften, die am Arbeitsmarkt gebraucht würden, gab Lindner zu bedenken. Von daher bedürfe es einer „andere[n] Einwanderungspolitik“.
Größtes Problem: die „asoziale“ Inflation
Die augenblicklich „größte Herausforderung“ für die Bundesregierung sei allerdings die hohe und „auch asoziale“ Inflation, meinte Lindner. Diese unterspüle das „wirtschaftliche Fundament“. „Langfristig“ mache ihm deshalb auch „die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und der deutschen Wirtschaft“ Sorgen.
„Staatliche Investitionsprogramme“, wie sie etwa Ricarda Lang fordere, seien aber bloß „Strohfeuer auf Pump“, die die Geldentwertung weiter anheizen würden. Außerdem sei die Umgehung der Schuldenbremse nach Vorstellungen Langs „mit unserer Verfassung nicht zu machen“.
Lindner bedauerte, dass „die deutsche Politik“ seit mehr als zehn Jahren davon ausgegangen sei, dass Wohlstand „nur verteilt werden“ müsse. „Die Bedingungen für das Erwirtschaften dieses Wohlstands“ seien dabei „genauso vernachlässigt“ worden „wie lange Zeit die Bundeswehr“. Hier sei eine Veränderung nötig. Dazu bedürfe es besserer „Investitionsbedingungen für die Wirtschaft“. Deren Belastung durch die „höchste[n] Steuern und Sozialabgaben“ und die Bürokratie müsse verringert werden.
„Bürokratieentlastungsgesetz“ soll kommen
Bundesjustizminister Marco Buschmann, zugleich Partei- und Kabinettskollege Lindners, hatte bereits vor Monaten ein neues „Bürokratieentlastungsgesetz“ angekündigt. Im Verbund mit dem „Wachstumschancengesetz“ werde dies „Bürokratie-Ballast für die Wirtschaft von mehr als 2,3 Milliarden Euro abwerfen“, schrieb Buschmann jüngst auf X. Das soll unter anderem mit einer Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege gelingen.
Auf die Seite Lindners schlug sich nach Angaben des „Tagesspiegels“ Torsten Herbst, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion: Mehr Geld löse das Problem nicht. „Mehr Migranten in Arbeit und bessere Bildung wären sinnvoller“, so Herbst.
Dass Lindner mit seiner Einschätzung „behutsam und sachlich die Realität“ beschreibe, twitterte Konstantin Kuhle, der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag: „Eine Politik für Wachstum, Jobs, Bildung und Aufstieg wirkt auch gegen Kinderarmut.“
Viereinhalb Millionen junge Leute armutsgefährdet
Nach Angaben des ZDF bezieht sich Finanzminister Lindner für seine Einschätzung der Situation auf Statistiken der Bundesagentur für Arbeit. Demnach sei die Zahl der Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, die Hartz-IV-Leistungen bezögen, zwischen 2015 und März 2023 von 1,5 Millionen auf nur noch 1,02 Millionen gesunken. Umgekehrt sei im gleichen Zeitraum die Zahl der Hartz-IV-Kinder mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit von 366.000 auf 933.000 geklettert.
Nach Angaben der „Tagesschau“ sind „mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland […] von Armut betroffen“. 2022 hätten die Statistiker drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren als „armutsgefährdet“ eingestuft. Das entspreche 21,6 Prozent der Altersgruppe. Unter den jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren teilten „1,55 Millionen oder 25,3 Prozent“ denselben Status.
Hintergrund: Leistungen für Kinder einfacher bereitstellen
Die Kindergrundsicherung gehört zu den Prestigeprojekten der Ampelregierung. Mit einem neuen Gesetz aus dem Zuständigkeitsbereich von Familienministerin Paus sollen nach Angaben des „Deutschlandfunks“ (DLF) fünf bislang getrennt gehandhabte Leistungen zusammengefasst werden, nämlich:
- Monatliches Kindergeld
- Monatlicher Bürgergeld- oder Sozialhilferegelsatz für Kinder
- Monatlicher einkommensabhängiger Kinderzuschlag
- Monatlicher Zuschuss aus dem Bildungs- und Teilhabepaket
- Halbjährliches Büchergeld für die Schule
Paus hatte vor einer Woche ihre Zustimmung zum „Wachstumschancengesetz“ des Finanzministers versagt, um mehr Geld für das Kindergrundsicherungsbudget herauszuschlagen.
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